Tomas Zierhofer-Kin beim Erklären des Festwochen-Moduls.

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Eines der vielfältigen Programme: "Hamamness" im Rahmen der "Akademie des Verlernens".

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Wien – Jedem Festwochenanfang wohnt ein Zauber inne. Manchmal bedarf es enorm vieler Worte, ihn zu beschwören. Neo-Intendant Tomas Zierhofer-Kin präsentierte in Magdas Hotel in Wien-Leopoldstadt sein erstes Programm – die Festwochen dauern heuer von 12. Mai bis 18. Juni.

In einer Welt, die sich "tagtäglich albtraumhaft" verändere, tut laut Zierhofer-Kin ein "Modul" not. Gemeint ist offenbar das Festival als Wunderapparat, der helfen soll, den Blick auf die Welt jeweils neu zu justieren. Und man kann nicht behaupten, es würden von Zierhofer-Kin keine neuen Module implementiert.

So wird mit dem "Performeum" ein temporäres Museum für die performativen Künste geschaffen, ein "Tempel des Augenblicks". Auf einem ÖBB-Gelände hinter dem Hauptbahnhof huldigen Kuratoren und Künstler einer "queeren ekstatischen Praxis als Widerstand". Irgendwo im magischen Dreieck zwischen Installation, Ausstellung und Aufführung balancieren Künstler aus Brasilien, Ghana oder den USA.

"Akademie des Verlernens"

In der auf fünf Jahre ausgelegten "Akademie des Verlernens" wird "spekulative und postkoloniale Methodik an der Schnittstelle von Wissensvermittlung und Performance" gelehrt. Als Mentorin fungiert die prominente Columbia-Professorin Gayatri Chakravorty Spivak. Gelockt wird u. a. mit antifaschistischen Ballettschulen und einer Aufforderung zur Körperverständigung. Diese gestaltet sich garantiert porentief in einem Hamam mit diskursiven Hygieneangeboten.

Gespannt sein darf man auch auf "Picknicks des Verlernens" und auf die Einrichtung eines "Archivs der Zukünfte". In Letzterem z. B. soll "epistemische Gewalt", sogenanntes "Mindfucking" (Spivak), unter kundiger Anleitung einer Theaterwissenschafterin durch einen "postmigrantischen Analyse-Diskurs-Fleischwolf" gedreht werden.

Auch für Freuden des Theaters wird gesorgt. Jim Cauthy, Mitbegründer des Bandprojekts The KLF, bugsiert einen Container mit Graffitis quer durch Wien. Die Performer von Saint Genet zeigen in Promised Ends einen US-Siedlerzug, unter widrigen Umständen versprengt in der Wildnis. Man kann seinem Haupthaar Gutes tun und sich Haircuts by Children genehmigen, initiiert von den Kanadiern von Mammalian Diving Reflex. Besagtes Kollektiv lädt zudem betagte Laiendarsteller dazu ein, ihr Sexleben öffentlich auszubreiten.

Meeses "Erzmutterz"

Romeo Castellucci und seine Socìetas nehmen unter besonderer Berücksichtigung von Alexis de Tocqueville prä- und postdemokratische US-Verhältnisse in den Blick. Die Deutsch-Ivorer von Gintersdorfer/Klaßen dekonstruieren Mozarts entsetzlich veraltete Entführung aus dem Serail, Jonathan Meese übersetzt Musik von Bernhard Lang in eine Space-Opera: Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz).

Ivo van Hove bietet für seine Luchino-Visconti-Variation Obsession immerhin Jude Law als Darsteller auf. Und wem das noch immer zu postdramatisch ist, der darf sich auf Peter Brooks neues Mahabharata -Destillat Battlefield freuen, eine Produktion aus den Pariser Bouffes du Nord.

Postdramatisch, postkolonial, postapokalyptisch, dazu eine Clubbing-Schiene namens Hyperreality im Schloss Neugebäude: Eine besorgte Stimme wollte wissen, was Zierhofer-Kin denn gegen die über 40- und 50-Jährigen habe. Der Intendant wehrte beflissen ab: nichts. Neue Zuschauergruppen sollen erschlossen, niederschwellige Angebote von möglichst allen angenommen werden. 40.000 Karten wurden heuer aufgelegt, das Budget misst stolze 13 Millionen Euro. Subventioniert wird das begrifflich bis an die Zähne bewaffnete Programm mit 10,5 Millionen Euro. (Ronald Pohl, 16.2.2017)