Werden Schnitzel billiger, steigt die Nachfrage. Bei Arbeitskräften muss das nicht sein.

Illustration: Standard

Das Streben der Bundesregierung nach einem höheren Maß an nationalstaatlicher Souveränität in arbeitsmarktpolitischen Belangen wirbelt Staub auf. Während die politische Rechte jubiliert, scheint die neue Mehrheitsmeinung in den wirtschaftspolitisch beratenden Kreisen zu sein: Ja, die Arbeitslosigkeit ist durch Zuwanderung gestiegen. Aber: Das muss Österreich in Kauf nehmen, weil es im Gegenzug vom freien Warenverkehr profitier(t)e.

Diese Logik ist unschlüssig. Aber der Reihe nach: Der Zuzug an Arbeitskräften hat sich beschleunigt, seitdem der Arbeitsmarktzugang 2011 und 2014 für Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus den begünstigten Ländern liberalisiert wurde. Im Zentrum steht also der (bewusste) Abbau wirtschaftspolitischer Regulierung, nicht die Stagnation der wirtschaftlichen Konvergenz dieser Länder; eines kaum steuerbaren makroökonomischen Prozesses, der von Paul Schmidt ("Auch Österreich profitiert von der Freizügigkeit", im STANDARD vom 6. 2.) kürzlich an dieser Stelle ins Treffen geführt wurde.

Verdrängt werden vor allem eingesessene Zuwanderer, insbesondere aus der Türkei und den Balkanländern. Billige Arbeit wird durch noch billigere ersetzt, was für einen marktwirtschaftlichen Produktionsprozess an sich nicht ungewöhnlich ist. Zugleich dämpft dies aber die Lohnzuwächse, nach der simplen Logik: höheres Angebot, geringere Preise.

Arbeits- ? Gütermarkt

Hier endet die Parallele zwischen Arbeits- und Gütermärkten, oder anders gesagt: Ein Arbeiter ist kein Wiener Schnitzel. Wenn Fleisch billiger wird, wird mehr davon gekauft. Wenn Arbeitskraft billiger wird, muss die Nachfrage danach, sprich die Beschäftigung, nicht zwangsläufig steigen. Nämlich dann nicht, wenn die negative Wirkung auf Kaufkraft und Kauflust und damit Konsum und Wirtschaftswachstum überwiegt; genau das scheint in Österreich seit 2012 der Fall zu sein.

So weit, so bedauerlich. Muss Österreich diese Entwicklung akzeptieren, als eine Art Abtausch für den Exportboom, den die Osterweiterung beschert hat? Mitnichten. Denn von der gestiegenen Verflechtung der Gütermärkte profitieren ja nicht nur die heimischen Exporteure, Banken und ein paar höhere Angestellte, sondern auch die Konsumenten in den besagten Ländern. Oder glauben wir, dass die Leute dort österreichische Produkte kaufen, um uns einen Gefallen zu tun und dann bei uns arbeiten zu dürfen? Wohl kaum. Sowohl der heimische Unternehmer als auch die bulgarische Konsumentin ziehen einen Nutzen aus der Transaktion – völlig unabhängig von den Regulierungsbestimmungen am Arbeitsmarkt.

Damit sind wir bei den vier "Grundfreiheiten", mitsamt der Personenfreizügigkeit und dem freien Güter- und Dienstleistungsverkehr. Die scheinbare Logik, dass die eine "Freiheit" die andere bedingt, entspringt der neoliberalen Denkweise, dass Arbeitsmarkt und Gütermärkte vergleichbar seien. Wie oben beschrieben, sind sie das nicht, da Ereignisse am Arbeitsmarkt, insbesondere die Lohnsetzung, fundamentale makroökonomische Implikationen haben. Die EU mit ihren vier "Grundfreiheiten" ist daher leider ein nur halbfertiger Wirtschaftsraum. Um nicht noch mehr Mitglieder zu verlieren, sollte dieser Zustand geändert werden. Dies kann auf zweierlei Art geschehen.

Erstens durch eine Intensivierung des Integrationsprozesses. Die EU müsste, nach amerikanischem Vorbild, zu einem Bundesstaat werden, der nicht nur über eine einheitliche Währung, sondern auch über ein zentrales Budget verfügt, das beispielsweise durch die Mehrwertsteuer gespeist wird. Die fiskalischen Folgen regionaler makroökonomischer Störungen, wie etwa das schwache Wachstum in Österreich, wären dann nicht mehr auf den betroffenen Staat beschränkt (in Form eines geringeren Steueraufkommens) mit der Folge von Sparprogrammen, die die Konjunktur zusätzlich schwächen. Sondern die Effekte wären EU-weit verteilt, sodass konjunkturell "stärkere" Regionen die "schwächeren" unterstützen.

Die zweite Möglichkeit, die mehrheitsfähiger scheint, ist die teilweise Rückerlangung nationalstaatlicher Souveränität über wichtige wirtschaftspolitische Instrumente, etwa zur Kontrolle der Arbeitskräftemigration. Vor dieser Entwicklung kann man weiterhin die Augen verschließen, mit der wahrscheinlichen Folge, dass die politische Rechte das leere Ruder übernimmt. Oder man kann sie bewusst und sachlich zu steuern versuchen, wozu sich die Bundesregierung offenbar entschieden hat. (Stefan Schiman, 16.2.2017)