Wien – Aus dem Terminkalender eines Meisterpianisten: Anfang Februar spielte Kirill Gerstein in New York viermal Tschaikowskys erstes Klavierkonzert, bald folgt zweimal Brahms' erstes Klavierkonzert in Vancouver und Ende des Monats viermal Rachmaninows Zweites in New Jersey. Zum Dazwischenstreuen gibt der gebürtige Russe im Februar noch vier Soloabende in England, den USA und in Wien.

Franz Liszts Etudes d'exécution transcendante stehen hier als Hauptwerk an, Gerstein hat sie im letzten Jahr auch auf CD veröffentlicht und dafür glänzende Kritiken in seiner neuen Heimat, den USA, erhalten. Im Wiener Konzerthaus war die akustische Belohnung vonseiten des Publikums für diese Tour de Force der Virtuosität verhältnismäßig medioker: Man entließ den 37-jährigen Pianisten ohne großes Bedauern zugabenlos unter die Dusche.

Hatte Gerstein schlecht gespielt? Technisch auf keinen Fall. Glitzernde Läufe, donnernde Doppeloktaven, waghalsige Sprünge: alles perfekt. Auch auf musikalischem Gebiet bewies sich der in Boston und Berlin Lebende als mustergültiger Präsentator. Bei Showmann Liszt ist alles auf Außenwirkung getrimmt: ein genialer Oberflächengestalter. Seine Themen weiß Liszt in robenhafte Arrangements zu kleiden, die mehr schillern als ihr Inhalt. Liszt ist Versace: Glitzer und Pomp.

Diesen Aspekt befriedigte Gerstein, der stets abwägend und kontrolliert agierte, etwas zu wenig. Zudem dürfte auch der an mancher Stelle des Parterres eher klangschmächtig und farbarm klingende Steinway seinen Teil dazu beigetragen haben, dass etwa bei Brahms' differenziert interpretierter fis-Moll Sonate op. 2 der Funke der Genialität kaum je zum Sprung auf die Hörer ansetzen wollte. Bachs Vier Duette BWV 802-805 interpretierte Gerstein mit Fantasie, wenn er auch viele Passagen eher martellato als legato spielte und so den Gesang als Ursprung allen Musizierens vergessen ließ und daran erinnerte, dass das Klavier technisch so eine Art Schlagzeug ist. (Stefan Ender, 16.2.2017)