Hans-Christian Ströbele diskutiert am Sonntag in Wien.

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Er hat lange, lange überlegt. Schließlich ist Politik seine Berufung, er gehört auch zu den bekanntesten deutschen Abgeordneten. Doch dann ist die Entscheidung doch gefallen: Das grüne Urgestein Hans-Christian Ströbele (77) wird dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören.

Von Abschiedsschmerz aber ist überhaupt noch nicht die Rede. Ströbeles Terminkalender ist voll wie immer. Gerade hat er die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im NSA-Untersuchungsausschuss befragt, am Sonntag ist er in Wien, um im Burgtheater in einer von STANDARD -Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid moderierten Veranstaltung über die Frage zu diskutieren, ob wir in "revolutionären Zeiten" leben.

Den Begriff "revolutionär" zugleich mit dem Erstarken der Rechten in den USA und in Europa zu verwenden, das widerstrebt Ströbele. Schließlich sagt er, der Linke, der in der Studentenbewegung sozialisiert wurde und in den Siebzigerjahren als Anwalt auch RAF-Terroristen vertreten hat, über sich selbst: "Ich wollte revolutionäre Veränderungen."

Große Unzufriedenheit

Doch Ströbele sieht schon "Zeiten des Umbruchs". Vor allem in den westlichen Ländern – also den USA und Europa – gebe es "eine große Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Establishment". Ströbele: "Früher hätten wir es die herrschende Klasse genannt."

Er bemerkt auch durchaus Parallelen zu seinen außerparlamentarischen Jahren vor 40 Jahren. "Es ging damals um Protest gegen den Vietnamkrieg und die Aufarbeitung der NS-Diktatur, also um völlig andere Dinge", sagt Ströbele. Aber: "Die Triebfeder Unzufriedenheit war die gleiche."

Versprochen, gebrochen

Heute richte sich diese in Europa gegen die EU, die ein "massives Glaubwürdigkeitsproblem" habe. Ströbele: "Man hält einfach nicht, was versprochen wurde." Für ihn wird das an zwei Beispielen deutlich: Zum einen würden eine Reihe von Ländern einfach Beschlüsse ignorieren, die man getroffen habe, um die Asylfrage zu lösen.

Zum anderen betonten die Staats- und Regierungschefs zwar ständig, man brauche europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus. "Das höre ich seit Jahren, aber konkret sind viele Staaten dann nicht bereit, ihre Informationen in einer gemeinsamen Datenbank weiterzugeben", kritisiert Ströbele. Nachsatz: "Ist doch klar, dass die Leute irgendwann sagen: Was erzählen uns die da eigentlich? Wollen die uns für blöd verkaufen?"

Die Folge: Wenn die EU nicht funktioniere, dann "wollen viele Menschen die alten, unbrauchbaren Werte wie Renationalisierung hervorholen." Für Ströbele ist klar, wie die Lösung heißen könnte: "Politik muss wieder glaubwürdig werden."

Das gelte übrigens auch für Deutschland selbst. "Die Strukturen sind nicht ehrlich", meint er. Denn: "Im Parlament wird nicht wirklich etwas beschlossen, man diskutiert nur noch jene Entscheidungen, die andere zuvor im Hinterzimmer getroffen haben." Trotz seiner langen politischen Erfahrung – auch Ströbele vermag nicht abzuschätzen, wohin die Entwicklung noch führen wird: "Wir haben ja auch nicht voraussehen können, was in den USA passiert." (Birgit Baumann aus Berlin, 18.2.2017)