Man hat zwei Möglichkeiten den Irak zu bereisen: Entweder man sperrt sich in ein von bewaffneten Soldaten gesichertes Hotel ein und verlässt dieses nur sporadisch mit einem lokalen Guide und gepanzertem Auto. Oder man taucht tief in die kurdische Kultur ein, wohnt bei Einheimischen und versucht das Risiko, den Umständen entsprechend, minimal zu halten.

Eine entscheidende Rolle spielt der Sicherheitsaspekt

Erbil, auch Arbil genannt, ist eine Stadt im nördlichen Irak mit einer Million Einwohner. Zusätzlich an Brisanz verleiht der Stadt jener Zustand, dass sie die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan ist, einem de facto nicht existenten Staat. Die IS-Hochburg Mosul und andere umkämpfte Städte wie Kirkuk, liegen am Horizont von Erbil. 

Ich hielt mit mehreren Hotels, mit dem Außenministerium und einem – für unorthodoxe Reiseziele bekannten – Reiseforum im Internet Rücksprache. Sie waren der wesentliche Faktor bei meiner Vorbereitungsphase für diese Reise. Meine Intention war es, ein Gefühl für die Sicherheitslage vor Ort zu bekommen. Die letzten Anschläge in Erbil waren fast verjährt und die kurdische Armee sicherte die Stadtgrenzen um Erbil weitestgehend ab.

Also entschied ich mich für die waghalsigere Variante meiner zwei Möglichkeiten. Auf der Reiseplattform Couchsurfing nahm ich Kontakt mit einem einheimischen Pärchen auf und erzählte von meinen Reiseplänen. Vorfreudig willigten sie ein, mir ihre Couch für einige Tage zu überlassen.

Kopfüber ins Abenteuer

Die Flugroute führt mich im Jänner von Wien nach Istanbul, weiter nach Ankara und schlussendlich nach Erbil. Es war weit nach Mitternacht, als wir auf der Landebahn aufsetzen, und mich ein Gefühl von Aufregung und Anspannung durchströmt.

Ein fast leeres Flugzeug auf dem Weg in den Irak
Foto: Max Leyerer

Der sichtlich müde Grenzbeamte durchblättert meinen mit Stempeln gut gefüllten Reisepass und blickt mir tief in die Augen. "First time in Iraq", fragt er. "Yes, first time", gebe ich zögerlich, aber selbstbewusst, zur Antwort. Unbeeindruckt blättert er weiter, bis er eine freie Stelle im Reisepass findet und drückt einen Stempel mit der Aufschrift "Republic of Iraq" hinein. Er gibt mir meinen Pass ohne weitere Fragen zurück und murmelt "Good luck". 

Meine "Mitbewohner" haben mir im Vorfeld ihre Adresse zugeschickt – mit der Info, dass ich ein Taxi nehmen soll und circa 10.000 Irakische Dinar (ungefähr 7 US-Dollar) für die Fahrt bezahlen werde. Hörte sich gut an, dachte ich.

Nach einer ausgiebigen Personen- und Sicherheitsinspektion gehe ich aus dem Ankunftsterminal hinaus und sehe die wenigen, noch verbliebenen Personen aus dem selben Flugzeug in diverse Vans und Autos steigen und in die bescheiden beleuchteten Straßen davonfahren.

Ankunftshalle am Erbil International Airport
Foto: Max Leyerer

Ich drehe mich im Kreis und versuche ein potenzielles Taxi auszumachen. Vergebens. Mir kommt ein beunruhigender Gedanke: Es ist gleich 4 Uhr morgens, ich bin im Irak, es gibt kein Taxi und ich habe nur eine vermeintliche Adresse in arabischer Schrift auf einem Stück Papier.

Das Abenteuer kann losgehen

Mein erster Versuch Kontakt mit einer herumlungernden Person aufzunehmen, scheitert sang- und klanglos an den Englisch-Kenntnissen meines Gegenübers. Mein Arabisch reicht vermutlich gerade einmal, um eine Tasse Tee zu bestellen oder einige Höflichkeiten auszutauschen. Aber meine Situation zu beschreiben? Dafür reichen meine Sprachkenntnisse nicht einmal im Ansatz. 

Ich gehe also zurück in die Ankunftshalle und probiere mein Glück bei zwei grimmig dreinblickenden Mitarbeitern des Geldwechselbüros. Verdutzt schauen sie mich an und schienen nicht zu begreifen, was genau ich von ihnen will. Ich versuche es ein weiteres Mal mit Händen und Füßen. "Taxi? City? Call please!" Einer der zwei gestikuliert wild herum und deutet hinaus. Dass ich gerade von dort herkam und es keine Taxis gibt, will ich ihnen erklären – wieder vergebens. Unser Gespräch in dem leeren Terminal ist nicht zu überhören und ein Kollege von ihnen stößt dazu, mit erfrischend gutem Englisch.

Mit ihm kann ich mich tatsächlich unterhalten. Er ruft mir ein Taxi und ich schlendere wieder hinaus. Die Erleichterung ist gewaltig. Nach einer gefühlten Ewigkeit fährt ein schwarzer Van vor und ein Teenager mit einem Trainingsanzug ruft mir  “Yalla! Yalla!” zu. Ich nehme einfach an, dass er mein gerufenes Taxi ist. Ich nehme einfach an, dass er vertrauenswürdig ist und ich nehme an, dass er weiß, wo ich hinfahren möchte, wenn ich ihm die Adresse zeige. 

Hallo "Sin City" 

Ich drücke ihm den Zettel in die Hand und gebe ihm zu verstehen, dass ich dort hin muss und weiß wie viel es kostet. Er antwortet lapidar mit "Sin City".Verwundert frage ich was er mit "Sin City" meint und ob er die Adresse kennt. Keine Antwort. Er startet den Motor und fährt die zwielichtige Straße entlang. Ich schaue aus dem Fenster und versuche etwas zu erkennen. "Ja, Sin City ist eine Siedlung am Stadtrand. Wir fahren wahrscheinlich eine halbe Stunde." 

Ich lehne mich zurück und starre aus dem Fenster. Einerseits beruhigt, weil ich den ersten Schritt geschafft habe und einen langen Anreisetag hinter mir habe. Andererseits angespannt, weil ich genau weiß, wenn du spätnachts auf dem Weg in eine Siedlung am Stadtrand bist, die Sin City heißt, dass das Abenteuer gerade erst beginnt. (Max Leyerer, 27.2.2017)

Fortsetzung folgt.