Alleingelassen ist Medea am Strand von Korinth: Ines Schiller.

Foto: Christian Brachwitz

Linz – Aus der Verquickung von Götterhimmel, Schuld und enttäuschten Gefühlen im Medea-Mythos ein heute tragfähiges Konzept von Fremdheit herauszudestillieren, daran ist im November Anna Badora im Wiener Volkstheater gescheitert. Vielleicht hat Regisseurin Susanne Lietzow sich für Linz deshalb erst gar nicht auf ein solches Kondensat eingelassen und zeigt Franz Grillparzers dramatisches Gedicht Das Goldene Vlies in voller Länge.

Wegen Verzögerungen beim Umbau des Linzer Schauspielhauses im Ausweichquartier: In der Alten Bruckneruni (im Juni wird sie abgerissen) residiert die Königsfamilie von Kolchis vor einer düsteren Gitterwand, die auch als Klettergerüst und Projektionsfläche dient (Bühne: Aurel Lenfert). Der Ton ist nicht nur familienintern rau, König Aietes ist zudem ein Gastfeind, denn er fürchtet jeden Fremden als Bedrohung. Weil Kolchis jedoch am Meer liegt, ist der Boden nass und kommen hie und da anderer Länder Herren per Schiff angefahren.

Warum? Darum!

Eigentlich aber geht es nicht um ihn. Es entspinnt sich in weiteren eineinhalb Stunden Spielzeit die Geschichte um Aietes' Tochter Medea (Ines Schiller) und den Griechen-Krieger Jason (Sven Mattke). Einer der ungebetenen Gäste nämlich hatte das titelgebende Widderfell im Gepäck, Aietes tötete ihn und nahm es an sich. Um es heimzuholen, kommt nun der Argonaut, wieder mit sich fort nimmt er zudem Medea. Barbusig hat sie sich die Liebe in einem heftigen Kampf (!) mit sich selbst und ihm abgerungen.

Und hier beginnt ihr Unglück und Mythos: In seinem Griechenland – wo ihr die Kinder weggenommen werden sollen und sie der Mann vor den Toren des Palastes seiner neuen Braut verlässt – ist die Barbarin die von anderswoher. Warum spielt man dieses Stück heutzutage? Darum! "Ikone des Fremden und Anderen", huldigt ihr, die aber sehr wohl nicht nur Opfer und also kein Unschuldslamm ist, das Programmheft. Dem Thema "Asyl" als moderner Variante des in der Antike höchst zentralen Gastrechts ist ein anderer Erklärtext gewidmet.

Geschrei und Trainingshosen

Dass die gut gemeinte Geschichte auf der Bühne nicht bei allen im Publikum Wirkung zeitigte, mag daran liegen, dass die Inszenierung für das Gesamtgemenge aus Geschlechterkampf und Fremdheitsthematik keinen besonders mitempfinden lassenden Ton findet. Diese Medea ist eine von Anfang an herbe. Viel Geschrei macht nicht nur ihre Psychologie aus.

Requisitentechnisch (Marie-Luise Lichtenthal) geben Trainingshosen, Anzüge, Pistolen, ein schwarzlederner Loungesessel und eine Minigitarre dem antiken Schauplatz im Textgewand von 1821 zumindest augenfällig das Heute bei. "Vegan" und "Fick dich" als neu eingefügte Textbausteine hängen ähnlich motiviert in der Luft. Das ergibt eine recht maue und abgegriffene Behauptung von Überzeitigkeit, aus der mit viel Körpereinsatz ein flüssiges Illustrieren von im Text begründeten Darstellungsgeboten folgt. (Michael Wurmitzer, 19.2.2017)