Wie auf nationaler Ebene verlaufen auch im Europäischen Parlament Abstimmungen meist entlang von Fraktionsgrenzen.

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Am 15. Februar stimmte das Europäische Parlament (EP) mehrheitlich für das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. 408 Abgeordnete votierten für Ceta, 254 dagegen, 33 enthielten sich der Stimme.

Wie auf nationaler Ebene üblich, verlaufen auch im Europäischen Parlament Abstimmungen meist entlang von Fraktionsgrenzen – allerdings mit etwas mehr Spielraum für Abweichungen. Dennoch ist die Fraktionskohäsion für gewöhnlich sehr hoch. Schließlich haben die EP-Fraktionen ein starkes Interesse daran, nach außen geschlossen aufzutreten.

Sozialdemokraten am stärksten gespalten

Bei der Ceta-Abstimmung vergangene Woche war das nicht anders. Europäische Volkspartei (EVP) und Liberale (Alde) stimmten mit großer Mehrheit für das Abkommen, Linke (GUE-NGL), Grüne und Rechtspopulisten (ENF und EFDD) mehrheitlich dagegen. Die rechtskonservative Fraktion ECR (dominiert von den britischen Tories und der polnischen PiS) war etwas weniger geschlossen in ihrer Pro-Haltung. Mit Abstand am stärksten gespalten aber waren die Sozialdemokraten (S&D).

Wie die Grafik unten zeigt, wichen hier rund 45 Prozent der Abgeordneten von der mehrheitlichen Pro-Linie ab (Enthaltungen werden jeweils als abweichendes Verhalten gewertet, fallen aber in Summe nicht stark ins Gewicht).

Geschlossene Ablehnung gab es hier etwa von den S&D-Abgeordneten aus Österreich, Belgien, Frankreich und Tschechien, während deren finnische, dänische, ungarische und rumänische Kollegen allesamt für Ceta stimmten. Aber selbst innerhalb der nationalen Delegationen gab es große Uneinigkeit, so zum Beispiel bei den Deutschen, Italienern und Briten.

Die Spaltung verläuft also weder eindeutig zwischen Ost und West noch zwischen nationalen Regierungs- und Oppositionsparteien. Auch die öffentliche Meinung zu Freihandelsabkommen kann nur bedingt die Unterschiede erklären (im österreichischen Fall allerdings passt die öffentliche Skepsis zum Stimmverhalten der SPÖ-Abgeordneten).

Bandbreite links der Mitte

Einen möglichen Erklärungsansatz bieten ideologische Unterschiede zwischen den nationalen Parteien (natürlich lässt sich damit subnationale Uneinigkeit nicht erklären, dafür wären Individualdaten über die Abgeordneten nötig). Die Daten des Chapel Hill Expert Survey 2014 etwa platzieren jede (relevante) Partei in Europa auf einer wirtschaftspolitischen Links-rechts-Skala von 0 (links) bis 10 (rechts). Wiewohl die meisten sozialdemokratischen Parteien hier links der Mitte liegen, gibt es doch auch eine gewisse Bandbreite, die vom wallonischen Parti Socialiste (2,4) bis zur griechischen Pasok (5,4) reicht.

Mithilfe dieser Daten habe ich die S&D-Fraktion in drei etwa gleich große Gruppen geteilt: Links (Werte bis 3,5), Mitte-links (über 3,5 bis 4,5), und Mitte (über 4,5). Die zweite Grafik zeigt das Stimmverhalten aufgeschlüsselt nach diesen ideologischen Gruppen.

Der Anteil der Ceta-Unterstützer ist in der linken Gruppe am niedrigsten (42 Prozent), liegt für die Mitte-links-Gruppe bei 59 Prozent und steigt in der Mitte-Gruppe auf knapp zwei Drittel. Natürlich gibt es in allen drei Gruppen noch immer große Uneinigkeit, da das Stimmverhalten der EP-Abgeordneten nicht monokausalen Erklärungen folgt. Dennoch zeigt sich eine klare Korrelation: Abgeordnete aus wirtschaftspolitisch weiter links stehenden nationalen Parteien (und ja, dazu gehört laut Daten auch die SPÖ-Delegation) haben mit höherer Wahrscheinlichkeit gegen Ceta gestimmt.

Für Europas Sozialdemokraten bedeutet diese ideologische Heterogenität eine Herausforderung. Gerade mit dem Erstarken von Parteien, die protektionistische Standpunkte vertreten, werden Fragen des Freihandels noch stärker ins Zentrum der politischen Debatte rücken. In dieser Auseinandersetzung ist man jedenfalls im Nachteil, wenn man weniger geschlossen auftreten kann als die Konkurrenz auf der linken und rechten Seite. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 20.2.2017)