Wien – Hinter einer unauffälligen Tür in einer schmalen Gasse im Wiener Stadtteil Ober Sankt Veit im 13. Bezirk arbeitet Lorenz Goldnagl an einem ovalen Tisch. Die Einrichtung des kleinen Erdgeschoßbüros ist spärlich: ein Laptop, eine Theke mit einer Kaffeemaschine, ein Flipboard. Kaum etwas lässt vermuten, dass hier daran getüftelt wird, den dörflichen Charakter des Grätzels zu beleben. Goldnagl, geboren und aufgewachsen in Ober Sankt Veit, startete 2008 mit einem weiteren Ober-Sankt-Veiter, Armin Bonelli, die Onlineplattform hietzing.at.

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Die beiden Männer, 39 und 47, wuchsen einhundert Meter Luftlinie voneinander entfernt auf, lernten einander aber erst als Erwachsene kennen – und initiierten ein "Herzensprojekt", wie sie heute erzählen. "Das Bauchgefühl sagte uns aber, dass daraus eine Geschäftsidee werden könnte." Angefangen habe alles im Gespräch mit Freunden und Bekannten: Goldnagl und Bonelli seien immer diejenigen gewesen, die Menschen und ihre Ideen zusammenbrachten. So lag es nahe, eine gemeinsame Webseite zu starten.

Der Ortskern des Wiener Stadtteils Ober Sankt Veit.
Maria von Usslar

"Herr Hietzing"

"Wir sind überzeugt, dass das in Hietzing funktionieren kann, weil es als Dorf wahrgenommen wird. Hier grüßt man sich noch, wenn man auf der Straße spazieren geht. Der Grätzelgedanke wird hochgehalten", meint Goldnagl.

Mittlerweile ist er in Ober Sankt Veit fast eine Berühmtheit: Die Leute würden ihn manchmal mit "Herr Hietzing" ansprechen – und sogar Bitten an ihn richten, die gar nicht in seiner Macht stehen. "Manch einer fordert, dass ich das Parkpickerl verhindere", erzählt Goldnagl. Er komme oft zu spät, weil er mit jedem, den er in der Umgebung trifft, plaudern müsse.

Marketingarbeit hinter der unauffälligen weißen Tür.
Maria von Usslar

Hinter hietzing.at steckt die Idee, dass Menschen "nicht ins Einkaufszentrum fahren oder jedes kleine Produkt im Internet bestellen", sondern bei "Frau Huber oder Herrn Meyer" einkaufen, sagt Goldnagl. "Der persönliche Kontakt ist das, was den Leuten gefällt. Das macht ein Grätzel lebenswert." Er und Bonelli stellen von der Geschäftstreibenden über den Yogalehrer bis zur neuen praktischen Ärztin jeden vor und weisen in einem Kalender auf alles hin, was sich im Bezirk tut: Sei es ein Tag der offenen Tür in einer Schule, ein Straßenfest, ein Konzert oder ein Pensionistentreff.

Ihre derzeit rund 150 Kunden seien "Kleinstunternehmer, denen Zeit und Know-how fehlen, um sich um Werbung zu kümmern". Leben können die beiden Marketingexperten von der Plattform noch nicht: Ihr Bekanntheitsgrad bei den Hietzingern liege bei rund 40 Prozent. Ziel sei es, alle Einwohner zu erreichen.

Lorenz Goldnagl (links) und Armin Bonelli wuchsen in Ober Sankt Veit auf.
Maria von Usslar

"50.000 Menschen leben hier – und glauben, es tut sich nichts. Wir widerlegen das", meint Bonelli. Die beiden bemühen sich, das "leicht verstaubte Image" Hietzings – einer der einkommensstärksten Bezirke Wiens und traditionell in ÖVP-Hand – aufzulockern. "Es ist ruhig, grün und gar nicht so teuer, also ideal für Familien", meinen die beiden. Und man spüre, dass es ein großes Interesse an Neuem gebe: "Alles wird wie ein Schwamm aufgesaugt" – etwa wenn ein neues Lokal aufmacht.

Die Plattform bietet den Hietzingern auch die Möglichkeit, sich über lokale Themen auszutauschen, vom Parkpickerl bis zu Verkehrsbehinderungen – "was sie eben stört". Goldnagl versuche aber auch zu positiven Diskussionen anzuregen: "Wo sie gerne frühstücken etwa." Mit Fotos und Anekdoten weise er zudem auf schöne Seiten des Stadtteils und auf dessen Geschichte hin. Regelmäßig veranstaltet hietzing.at auch Grätzeltreffen, bei denen man sich persönlich kennenlernen kann. Denn Ziel sei vor allem, so Goldnagl, dass die Menschen "den Sessel verlassen und auf die Straße gehen". (Text: Christa Minkin, Video: Maria von Usslar)