Wenn das Kind die Familiensprache erlernen soll, braucht es die Rückendeckung der Eltern.

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Heute ist Internationaler Tag der Muttersprache. Erst im Jahr 2000 wurde der Gedenktag von der Unesco ausgerufen, um sprachliche und kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit zu fördern. Die Initiative erinnert daran, dass diese Vielfalt ein Mehrwert ist, aber auch daran, dass weltweit dieser sprachlich-kulturelle Reichtum nicht immer geschätzt wird – oft wird er sogar bewusst unterdrückt.

Weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist mehrsprachig. Das heißt, im Alltag und im Berufsleben wird mehr als eine Sprache verwendet. Wie die jeweiligen Nationen mit ihrer Mehrsprachigkeit umgehen, ist jedoch sehr unterschiedlich.

Ein mächtiges Instrument

Sprache prägt Persönlichkeit und Entwicklung eines Kindes ab dem Moment, an dem es hören kann. Sprache hat auch eine tiefe kulturelle Dimension – sie vermittelt Werte, Traditionen und Wahrnehmungen für die Codes der Gesellschaft, in der man sozialisiert wird. Sprache formt die Identität. Sie kann in positiver wie auch in negativer Weise genutzt werden, um Interessen durchzusetzen.

Seit der Französischen Revolution herrscht in Europa die Idee "Eine Nation – eine Sprache". Die Bevölkerung soll eine homogene, nationale Identität entwickeln. Dies hat allerdings nie der Realität entsprochen. Erst die Europäische Union versucht, einen Sinneswandel herbeizuführen.

Ringen um Anerkennung

Regionale Minderheitensprachen haben es generell schwer, neben einer großen, anerkannten Sprachgruppe gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen. Weltweit tragen nur wenige Länder ihrer autochthonen Mehrsprachigkeit Rechnung. Ein absolutes Vorzeigeland ist Bolivien, das seit 2009 neben Spanisch noch weitere 36 indigene Sprachen als Amtssprachen führt.

Länder wie Österreich ringen sich bis zu einer regionalen Anerkennung der Minderheitensprachen durch. Wobei die Streitfrage, ob Slowenisch in der Kärntner Landesverfassung vorkommen soll oder nicht – die Kärntner ÖVP wollte jüngst die Erwähnung dieser autochthonen Gruppe verhindern –, zeigt, wie schwer es für kleine Sprachgruppen ist, ihr kulturelles und sprachliches Gut zu bewahren.

Obwohl die Europäische Union auf die Anerkennung und Förderung der Mehrsprachigkeit pocht, haben sich Mitglieder wie Griechenland nicht dazu durchgerungen, die Sprachen ihrer Minderheiten anzuerkennen. Und auch die Ablehnung des Slowenischen in Kärnten spricht nicht für einen europäischen, versöhnlichen Geist, der Vielfalt gutheißt, geschweige denn fördert.

Zur Sprache stehen

Das hat Auswirkungen. Vermittelt die Mehrheitsgesellschaft das Motto "Mehr Wert ist, was wir sprechen, und weniger, was ihr sprecht", wird eine Sprache systematisch und gesellschaftlich unterdrückt, lehnen die Mitglieder einer Volksgruppe nicht selten ihre eigene Sprache ab. Die Sprache wird als Hindernis im sozialen Aufstieg gesehen. Die damit verbundenen Assoziationen sind "regional, veraltet, unattraktiv, beschämend". Vor allem junge Menschen kehren den regionalen Sprachen den Rücken zu.

Eine Lehrerin aus Spanien erzählte mir einmal, wie sie sich fühlte, als sie als junges Mädchen Galizisch sprach: "Als ob ich eine Kuh neben mir hertrieb." Und in der burgenländisch-kroatischen Kindergruppe, die ich betreue, beobachte ich, wie widersprüchlich die Eltern mit ihrer Zweisprachigkeit umgehen. Sie sprechen oft nur Deutsch mit ihren Kindern und hoffen, dass diese Burgenländisch-Kroatisch in der bilingualen Kindergruppe lernen. Was Eltern damit jedoch signalisieren, ist, nicht zu 100 Prozent zu dieser Sprache zu stehen.

Muttersprachen und ihr Image

Wie steht es um die Muttersprachen, die durch Migration nach Österreich gelangt sind? Wie ist ihr Image? Es gibt viele Aspekte, die Ressentiments schüren. Eine entscheidende Rolle spielt der Status der Sprecher. Um mit Robert Walser zu sprechen: "Money rules the world." Ist die Gruppe der Sprecher wirtschaftlich stark, hat ihre Sprache gesellschaftlich hohe Anerkennung. Übt die Sprechergruppe jedoch niederqualifizierte und schlecht bezahlte Jobs aus, ist sie wirtschaftlich schwach, so hat ihre Sprache ein schlechtes Image in der Gesellschaft. Diese Situation ist in allen Einwanderungsgesellschaften ähnlich, die Sprachen sind auswechselbar.

Das muss aber nicht so sein. Auch hier wäre eine gezielte Migrations- und Sprachenpolitik gefragt, die dieser Entwicklung entgegensteuert. In Österreich hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten einiges getan. Muttersprachenunterricht ist seit 1992 Teil des österreichischen Schulwesens. Es gibt Projekte, die sich um die gesellschaftliche Eingliederung der neu zugewanderten Menschen bemühen, zum Beispiel Start Wien seit 2008. Trotzdem haben sich festgefahrene Bilder und Sichtweisen nicht aufgelöst.

In meinen Workshops erzählen Eltern oft, wie unwohl sie sich fühlen, in der Öffentlichkeit mit ihren Kindern in ihrer nichtdeutschen Muttersprache zu sprechen. Manchmal geht es sogar so weit, dass sie nur in den eigenen vier Wänden mit dem Kind in ihrer Muttersprache sprechen und "draußen" auf Deutsch. Aber was verdeutlichen Eltern damit ihrem Kind? Genau die gleiche Scham, die ihnen die Mehrheitsgesellschaft aufzwingt.

Unzuverlässige Politik

Ich rate Eltern, die Beziehung zur eigenen Sprache zu reflektieren. Woher kommt die Scham, und womit oder mit wem hat sie zu tun? So kann man sie am ehesten überwinden, denn wenn das Kind die Familiensprache erben soll, braucht es die Rückendeckung der Eltern, um den Gegenwind der Gesellschaft zu überstehen. Und den wird es leider früh genug spüren. Um den sprachlichen und kulturellen Reichtum, der ihm zusteht, zu erlangen, braucht es die elterliche Konsequenz, tagtäglich den Alltag in einer weiteren Sprache zu bewältigen, und vor allem, dass die Familie zur ihrer Zweisprachigkeit steht, egal wie der öffentliche Diskurs gerade gepolt ist, denn auf die Sprachenpolitik ist dabei wirklich kein Verlass. (Zwetelina Ortega, 21.2.2017)