Wien – Die sogenannten restaurativen Neurowissenschaften befassen sich mit dem Ersatz schadhafter Nervenzellen im Gehirn. Ein Therapieansatz wäre es, unreife Neuronen zur Einwanderung in defekte Areale und zur Reparatur der Schäden zu veranlassen. Wiener und Budapester Wissenschafter haben dazu nun Basisarbeit für ein solches Konzept geleistet, wie sie in der Fachzeitschrift "PNAS" berichten.

In dem gemeinsamen Projekt des Zentrums für Hirnforschung der MedUni Wien und des ungarischen Hirnforschungsprogramms an der Semmelweis Universität in Budapest konnte nun gezeigt werden, dass manche reife Neuronen ihre lokale Mikroumgebung in einer Art und Weise anpassen können, dass sie die Abwanderung von unreifen Neuronen begünstigen. Ein neu entwickeltes molekulares Verfahren ermöglichte es den Forschern, Zellreserven im erwachsenen Gehirn zu mobilisieren und unreife Neuronen zu den betreffenden Stellen von Gehirnschäden zu lenken.

Neubildung von Neuronen in zwei Regionen

Nur zwei Regionen des Säugetiergehirns sind bekannt dafür, dass sie ihr Potenzial beibehalten, das ganze Leben lang die Bildung von neuen Neuronen zu ermöglichen: das olfaktorische System, das Gerüche identifiziert, und der Hippocampus, der als zentrale Stelle für die Verschlüsselung und Speicherung von Gedächtnisleistungen fungiert. Beim Menschen endet die Bildung von neuen Neuronen des olfaktorischen Systems relativ bald in der frühen Kindheit. Die dahinter liegenden Mechanismen sind noch nicht vollständig aufgeklärt.

Betreffend der neuronalen Migration galt bisher die Vorstellung, dass Supportzellen, Astroglia genannt, von höchster Bedeutung sind, um die Bewegung von unreifen Neuronen durch chemische Signale und physiologische Interaktionen zu begünstigen. Die neue Studie der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften am Zentrum für Hirnforschung in Wien zeigt, dass die Migration von neu entstandenen Neuronen lokale ausdifferenzierte Nervenzellen benötigt, die ihnen "den Weg weisen".

"Einschalter" zum Entsenden neuer Nervenzellen

Das tun sie, indem sie etwas von der Substanz, die den Raum zwischen den Nervenzellen ausfüllt, "wegverdauen". "Indem wir begreifen, dass differenzierte Neuronen in diesem Prozess entscheidende Operatoren sind, haben wir nun einen "Einschalter", den wir benützen können, um neugeborene migrierende Nervenzellen in Gebiete zu schicken, wo sie am dringendsten benötigt werden", meint Alan Alpar, Hauptautor der Studie.

Der Wiener Neurowissenschafter Tibor Harkany fügte hinzu: "Wir haben den gesamten molekularen Mechanismus entschlüsselt, den differenzierte Neuronen benützen, um für migrierende Ersatznervenzellen Platz zu machen. Dies bietet ganz klar ein pharmakologisches Konzept, um Neuronen in ausreichender Menge für Neuroreparaturen an geschädigte Hirnbereiche umzuleiten. Auch wenn die Entfernungen ziemlich weit sein können, sind wir zuversichtlich, dass molekulare Möglichkeiten existieren, um diese Herausforderungen zu bewältigen." (APA, red, 27.2.2017)