Jugendarbeitslosigkeit in Europa

Grafik: DER STANDARD

Wien – Er war 15 oder 16, als seine Familie zerbrach. Was folgte, war eine Kaskade des Scheiterns: Abbruch der Schulausbildung und einer Lehre, schlechte Einflüsse und erste Kontakte mit dem Justizsystem. Mit 17 startete er einen neuen Anlauf: Aber trotz sehr guter Noten in einer überbetrieblichen Lehrausbildung (ÜBA) fand er keinen Job. Keine reguläre Lehre gemacht zu haben, gilt bei vielen Arbeitgebern als Stigma. Der Jugendliche blieb arbeitslos.

Bernhard Kittel ist diese Erzählung eines jungen Arbeitslosen in besonderer Erinnerung geblieben. "Der Fall zeigt, wie extrem niedrig die Fehlertoleranz am Arbeitsmarkt ist. Obwohl wieder ein Musterschüler aus ihm wurde, blieb ihm eine zweite Chance verwehrt", sagt der Leiter des Instituts für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien.

Studie über Jugendarbeitslosigkeit in Wien

Kittel arbeitet gemeinsam mit seinen Kolleginnen Nadia Steiber und Monika Mühlböck im Auftrag des Sozialministeriums an einem Forschungsprojekt über soziale Hintergründe und Auswirkungen von Jugendarbeitslosigkeit in Wien. In der Studie wurden über 1200 junge Erwachsene zwischen 18 und 28 danach gefragt, wie sich die Erfahrung von Arbeitslosigkeit auf Gesundheit, Wohlbefinden, Motivation und weitere Einstellungsmuster auswirkt. Gleichzeitig wurde untersucht, welche Rolle arbeitsmarktpolitische Maßnahmen spielen. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat lag die Arbeitslosigkeit der 15- bis 29-Jährigen 2015 in Österreich bei 8,6, EU-weit bei 16,1 Prozent.

Ein Umstand, der sich für die Studienautoren besonders klar herauskristallisiert hat, ist, wie schwerwiegend die Auswirkungen sind, wenn die Jugendlichen zwischen 14 und 16 ins Schleudern geraten. "Wenn sie in dieser Zeit in irgendeiner Weise aus dem Bildungssystem herausfallen – egal ob aufgrund von Krankheit, Problemen mit den Eltern oder 'pubertären Anwandlungen' -, ist das ein Faktor, der es sehr schwermacht, Zugang zu Arbeit zu finden", sagt Kittel. Für ihn ist die ab Mitte 2017 gültige "Ausbildungspflicht bis 18" eine sinnvolle Maßnahme: "Wenn das Ausscheiden aus dem Bildungssystem zwei Jahre aufgeschoben wird, besteht die Hoffnung, dass sich in der Zeit die Entscheidungsfähigkeit weiterentwickelt."

Der erste Job

Gerade die Qualität des ersten Jobs ist ausschlaggebend für die Positionierung im Arbeitsleben. "Wer da einen schlechten Job erwischt – vielleicht nur, weil man in Zeiten der Rezession auf den Arbeitsmarkt drängt -, erholt sich meist nicht davon", so Steiber.

Jeder einzelne Fall der jungen Arbeitslosen ist anders, und dennoch lassen sich gewisse Muster erkennen. Oft ist der Wunschberuf unerreichbar, und man entscheidet sich für einen ungeliebten "zweitbesten" Weg. Andere entdecken erst zu spät, dass die gewünschte und absolvierte Ausbildung nicht das erhoffte Potenzial aufweist. Vielfach wirken die Jugendlichen unentschlossen, was sie für Arbeitgeber unattraktiv macht.

Sehr hohe Erwartungen

Die Probleme treffen auf Jugendliche, die in den meisten Fällen sehr hohe Erwartungen, in manchen Fällen auch unrealistische Erwartungen mitbringen, was ihren Lebensweg betrifft. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, ist die Frustration um so größer. Geld steht für die meisten noch nicht im Vordergrund, der Wunsch nach einem erfüllenden Job jedoch sehr wohl.

Die Arbeitslosigkeit führt in vielen Fällen zu einer Abwärtsspirale, die auch das gesundheitliche und psychische Wohlbefinden einschließt. Viele fühlen sich subjektiv nicht gesund. "In der Befragung kommt klar raus, dass arbeitslose junge Erwachsene vom psychischen Wohlbefinden her im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen sehr viel schlechter abschneiden", erklärt Steiber. 24 Prozent der Befragten bezeichneten ihre Gesundheit als mittelmäßig oder schlecht. In der Gesamtbevölkerung sind es neun Prozent.

Keine Freunde

Zudem dünnt sich das soziale Netz aus: "Die jungen Erwachsenen haben Schwierigkeiten, über ihre Arbeitslosigkeit zu sprechen, und erleben sie als soziales Stigma. Es gibt viele, die angeben, sie hätten überhaupt keine Freunde", sagt Mühlböck.

Die Studie bestätigt, dass niedriger Bildungsstand vererbt wird. 20 Prozent der befragten AMS-Kunden bleiben sogar hinter dem Bildungsstand der Eltern zurück – eine weitere Quelle enttäuschter Erwartungen. Positiv schlägt dagegen die Weiterbildungsmotivation zu Buche: 73 Prozent äußern sich positiv zur Frage, ob sie eine weitere Ausbildung anstreben. Und im Kontrast zu einem oft kolportierten negativen Image des AMS setzen gerade Menschen mit niedrigem Bildungsgrad hohe Erwartungen in die Institution. 41 Prozent gehen davon aus, dass das AMS die Chancen, rasch wieder eine Stelle zu finden, verbessert.

Ein Teil der Befragten wurde nach einem Jahr erneut interviewt. Die Forscher sind noch dabei auf dieser Basis Langzeitwirkungen auszuwerten. Die Hälfte der Befragten war bei der zweiten Befragung nach wie vor arbeitslos. (Alois Pumhösel, 27.2.2017)