Die südliche Außenmauer des Pueblo Bonito der Chaco-Canyon-Kultur.

HJPD

University Park/Wien – Der abgelegene und unwirtliche Chaco Canyon war vom 9. bis zum 12. Jahrhundert Schauplatz einer der ersten Hochkulturen Nordamerikas. Der Canyon im Nordwesten des US-Bundesstaats New Mexico fungierte nämlich für mehr als 300 Jahre als das Zentrum der Pueblo-Kultur, dessen beeindruckende Überreste in Gestalt des Chaco Culture National Historical Park seit 30 Jahren Weltkulturerbe der Unesco sind.

Die damaligen Vertreter der Chaco-Canyon-Kultur lebten in riesigen mehrstöckigen Pueblos, sie bauten außerdem aufwendige Rampen, Dämme, Bewässerungsgräben und Erdwälle. Sie verfügten auch über astronomisches Wissen und richteten Pueblo Bonito, die mit 650 Räumen größte Anlage, nach den Himmelsrichtungen aus.

Die Anlage von Pueblo Bonito im Chaco Canyon, dem Zentrum der damaligen Hochkultur.
Foto: Kennett et al. Nature Communications

Eine Schrift besaßen diese Pueblo-Indianer jedoch nicht, was es für Forscher nicht eben einfacher macht, mehr über die Gesellschaftsordnung dieser Ethnie in Erfahrung zu bringen. So war man sich uneins, ob die Ethnie egalitär strukturiert war oder ob sie doch Anführer oder so etwas wie herrschende Familien hatte.

Archäologisches Puzzle

Auch ohne schriftliche Quellen kann man Einiges über die Sozialstruktur der Chaco-Canyon-Kultur herausfinden. Neben Extrapolationen, die sich von anderen Hochkulturen wie den Maya ableiten lassen, können Archäologen im Boden Hinweise auf die gesellschaftliche Ordnung finden. Doch diese Methode gab bis jetzt nicht viel mehr als Vermutungen her.

Ein Team um Douglas Kennett (Penn State University) wollte es genauer wissen und schaffte es tatsächlich, mehr Licht ins Dunkel der damaligen Sozialstrukturen zu bringen. Die Forscher nahmen sich für ihre Studie im Fachblatt "Nature Communications" die menschlichen Überreste vor, die im Raum 33 von Pueblo Bonito gefunden worden waren. Dieser Raum gilt als eine Art Krypta für die höher gestellten Angehörigen der Kultur, die vermutlich im Laufe des 12. Jahrhunderts zusammenbrach.

Einige der in Raum 33 gefundenen Grabbeigaben.
Foto: Roderick Mickens ©American Museum of Natural History

Kennett und seine Kollegen bestimmten zunächst einmal mittels C-14-Methode das Alter der Skelette. Dabei zeigte sich, dass die Gebeine eine Zeitspanne von 330 Jahren abdeckten, also nahezu die gesamte Blütezeit der Chaco-Canyon-Kultur. Im zweiten Schritt entnahmen die Forscher aus neun Skeletten DNA-Proben und analysierten die mitochondrialen Genome (also die DNA der "Zellkraftwerke"), die ausschließlich über die Mutter vererbt werden.

Hinweise auf Matrilinearität

Das überraschende Ergebnis: Alle neun Individuen waren über die mütterliche Linie verwandt. Das wiederum bedeutet zum ersten, dass auch in der Chaco-Canyon-Kultur – ähnlich wie in den meisten anderen Hochkulturen – Machtpositionen vererbt wurden. Zum zweiten waren diese Dynastien matrilinear organisiert.

Die (vermutete) matrilineare Vererbung des sozialen Status bei den Pueblo-Indianern.
Foto: Kennett et al. Nature Communications

Das ist heute jedenfalls nicht allzu häufig und kommt nur mehr bei rund 13 Prozent der weltweit 1300 ethnischen Gesellschaften vor. Früher einmal dürfte das aber anders gewesen sein, wie zumindest der Schweizer Rechtshistoriker und Anthropologe Johann Jakob Bachofen in seiner berühmten Studie "Das Mutterrecht" bereits 1861 behauptete.

Bachofen ging in dem Buch davon aus, dass die moderne Gesellschaft sich in drei Stufen entwickelt habe, beginnend mit einer ursprünglichen Sozialform, die er "Hetärismus" nannte, auf die eine vom Mutterrecht bestimmte Sozialstruktur folgte, die wir als Matriarchat kennen. In dieser Gesellschaftsordnung, die augenscheinlich auch in der Chaco-Canyon-Kultur galt, war nach Bachofen die Mutter das Oberhaupt der Familie, da die Abstammung über die Mutter ermittelt wurde.

Erst danach habe sich als dritte Entwicklungsstufe das Patriarchat durchgesetzt. (tasch, 21.2.2017)