Mörderische Kammeroper mit markanter Videokunst.

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Wien – Nach 20 Jahren der Abwesenheit kehrt der Sohn wohl- und weibhabend zurück in seine Heimat. Dort, an einem Ort der Düsternis und der Schatten, betreiben Mutter und Schwester ein Gasthaus. Die Gäste stellen für die zwei gefühlskalten Herbergsmütter eine Art Reisemittel dar: Die Reichen werden ermordet und beraubt, auf dass Mutter und Tochter selbst einmal ins heißersehnte Arkadien umsiedeln können. Der Sohn gibt sich nicht als solcher zu erkennen und wird so zum Opfer der mörderischen Familienbande. Die Versteinerung der Herzen findet kein Ende.

Ja: Alles sehr existenzialistisch in Albert Camus' Theaterstück Le Malentendu, das im August 1944 in Paris uraufgeführt wurde – in einer Zeit also, in der die Fähigkeit zur emotionalen Verhärtung wohl ein psychotechnisches Überlebensmittel dargestellt hat. Komponist Fabián Panisello hat Le Malentendu (Das Missverständnis) zur einaktigen Kammeroper umgeformt, Jean Lucas hat im Libretto Camus' klare Sprache nicht verändert, sondern das Material lediglich gekürzt.

Faschierte Motive

In einem Interview hat der 53-jährige Komponist verraten, dass es die Mischung aus Tragödie und Thriller war, die ihn hier fasziniert hat. Und tatsächlich hat die zersplitterte, zerfaserte Musik von Panisello oft spukhafte Züge: Die Partitur scheint von einer insektenhaften Betriebsamkeit erfüllt und gleicht einem beweglichen Klangmosaik der 100 Partikularinteressen, des solipsistischen Gewusels, der kleingehackten, faschierten Motive. Stimmen wispern und raunen. In Summe jedoch eine Musik, die nur begrenzt sinnliche Kraft entfaltet.

Dem Orchester – hier das von Walter Kobéra koordinierte Amadeus Ensemble Wien – verweigert Panisello fast jeden Melos, den (in dieser Produktion allesamt glänzenden) Sängern gönnt er ihn jedoch im Übermaß. Martha (Anna Davidson) liefert sich enervierende Koloratursopranduelle mit Maria (Gan-ya Ben-gur Akselrod), der Frau von Sohnemann Jan (Kristján Jóhannesson). Die Mutter (Edna Prochnik) muss sich das zum Glück nicht mehr anhören, die ist da schon tot.

Herrscht in der Musik der Tenor des Spröden und Zersplitterten vor, so verschmelzen auf der Szene die Regiearbeit von Christoph Zauner, die geschmackvolle Ausstattung von Diego Rojas Ortiz, die stimmungsstarken Videoprojektionen von Chris Ziegler und die Beleuchtungskünste von Norbert Chmel zu einem Gesamtkunstwerk, das beeindruckt und sogar die Saunatemperaturen im Semperdepot am Premierenabend fast vergessen macht. Beifall für alle nach existenzialistischem Horrortrip. (Stefan Ender, 23.2.2017)