Wien – Mit 36 Masernfällen auf eine Million Einwohner 2015 findet sich Österreich am vorletzten Platz in Europa. Laut OECD-Bericht hatte nur Kroatien mehr Erkrankungen. Im Jahr 2017 gibt es in Österreich mit 55 Erkrankungen bis Februar bereits mehr Fälle der gefährlichen Viruserkrankung als im gesamten Vorjahr. Warum ausgerechnet in Österreich, einem der wohlhabendsten Länder Europas, eine mit einer Impfung vermeidbare Krankheit im Aufwind ist, gibt Rätsel auf. Im Gesundheitsministerium sieht man Handlungsbedarf und erwägt eine Reform. Einer generellen Impfpflicht steht man skeptisch gegenüber – eine Sichtweise, die auch die Österreichische Ärztekammer teilt.

Vom Plan der Weltgesundheitsorganisation (WHO), eine Impfrate von 95 Prozent zu erzielen und damit die Erkrankung bis 2020 auszurotten, ist Österreich weit entfernt. Wie hoch die Durchimpfungsrate hierzulande ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Das Ministerium hat eine Studie in Auftrag gegeben, bei der auf Basis der Erkrankungen der Impfschutz ermittelt wurde. Durchlässigkeiten gibt es vor allem bei den 1990er-Jahrgängen, die häufig nur eine der zwei Schutzimpfungen bekommen haben. Das ist auf eine Umstellung im Impfplan zurückzuführen. Die Immunisierung "Masern, Mumps, Röteln" wird nun ab dem zehnten Monat empfohlen. Die Zweifachimpfung ist kostenlos.

Verpflichtendes Impfgespräch als Option

Derzeit liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch. Impfnachweis oder kleine Impfpflicht – ein runder Tisch im Gesundheitsministerium mit Spitalsträgern und Gesundheitsbehörden ist für April geplant, heißt es in einer Stellungnahme des Ressorts. Jedenfalls spielt auch bei der gerade laufenden Überarbeitung des Mutter-Kind-Passes die Masernimpfung eine wichtige Rolle. Angedacht ist nämlich, ein verpflichtendes Impfgespräch wie in Deutschland einzuführen. Bis 2018 soll der Mutter-Kind-Pass reformiert werden.

Augenmerk soll dabei auch auf Ansteckungen in Krankenanstalten gelegt werden, die "nicht zu akzeptieren" seien. Patienten dürfen keinen vermeidbaren Risiken ausgesetzt werden.

Gegen eine generelle Impfpflicht spricht sich auch die Ärztekammer aus. Präsident Artur Wechselberger erklärt im STANDARD-Gespräch, dass das einen "Eingriff in die körperliche Integrität" darstelle. Er widerspricht damit Rudolf Schmitzberger, Impfreferent der Standesvertretung, der diese Woche ein Umdenken hin zu einer Impfpflicht verkündete. Man müsse die Situation differenziert betrachten, denn bricht eine Masernepidemie aus, kann eine Impfung verordnet werden, sagt Wechselberger: "Derzeit ist die Krankheit nicht für weite Kreise bedrohlich, sodass keine gesetzliche Anordnung notwendig ist." Ansonsten liege es in der Verantwortung der Einzelnen. Wobei der Kammerpräsident klarstellt, dass ein Impfschutz bei Gesundheitspersonal, das mit "vulnerablen Patienten", etwa auf einer Onkologie- oder Frühgeborenenstation, arbeitet, "unabdingbar" sei.

Ganz anders ist da die Sicht der Volksanwaltschaft. Dort wird seit 2014 eine Masernimpfpflicht gefordert. Die Versuche, eine höhere Impfquote durch Aufklärungskampagnen zu erzielen, hält Volksanwalt Günther Kräuter für gescheitert. Sein Vorschlag: Steuerung durch "Anreize und Konsequenzen". Ob man das beim Mutter-Kind-Pass oder aber bei der Familienbeihilfe ankopple, sei noch zu diskutieren.

Pflicht juristisch heikel

Die Wiener Neos wählen einen anderen Weg: Sie fordern einen Impfnachweis für Kinder in öffentlichen Betreuungseinrichtungen, nur dann dürfen sie Kindergarten oder Schule besuchen. In der Steiermark versucht man hingegen eine gesetzliche Lösung zu finden, da es dort Masernfälle beim Krankenhauspersonal gab. Geht es nach den Plänen von Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP), soll es ab Mitte des kommenden Jahres eine Impfpflicht geben: allerdings nicht für Kinder, sondern für Mitarbeiter in Spitälern und Pflegeeinrichtungen. Die Verpflichtung soll im neuen Krankenanstaltengesetz, das gerade verhandelt wird, festgeschrieben werden.

Juristisch bewegt man sich mit einer Impfpflicht auf dünnem Eis. "Per se ist eine Impfpflicht nicht unzulässig", sagt Daniel Ennöckl, stellvertretender Vorstand am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien. Es würde aber in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens eingegriffen werden. Um das nicht zu verletzen, müsste die Impfpflicht "gesetzlich angeordnet werden", sagt der Jurist. Sie sei auch nur dann verfassungskonform, "wenn sie zur Abwehr jener hochansteckender Krankheiten eingesetzt wird, die für eine signifikante Zahl an Menschen eine ernsthafte Gefährdung ihrer Gesundheit darstellen". Wer das entscheidet? Ennöckl: "Das müssen schlussendlich Ärzte beurteilen." (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, 23.2.2017)