1600 Exemplare seines neuen Buches ließ sich Hörhan zwecks Signierung ins Büro liefern.

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Er liebt provokante Auftritte und Ausritte: Gerald Hörhan, Tausendsassa, Investor, Autor, Gelehrter, Banker und Investmentpunk, wie er sich selbst bezeichnet. Der Österreicher beschäftigt sich seit Jahren mit den Licht- und Schattenseiten der New Economy und trägt dabei dick auf. Die Mittelschicht werde zerstört, weil die Digitalisierung zunehmend gehobene Tätigkeiten erreiche – Banker, Ärzte, Versicherungsangestellte und viele andere mehr. Die wegfallenden Jobs könnten nicht rasch durch Umschulungen auf neue Fähigkeiten kompensiert werden. Hörhan befürchten Arbeitslosenraten von 40 Prozent und mehr.

Die Chancen des Internets sieht er auch, nur seien die meisten Leute faul und interessierten sich für Blödsinn, Computerspiele und Pornoseiten. Verschärft werde das Problem durch den Aufstieg der Virtual Reality, in die Personen abdriften, die mit der echten Welt nicht zurechtkommen.

STANDARD: In Ihrem neuen Buch "Der stille Raub" vertiefen Sie die These, dass das Internet die Mittelschicht zerstören wird. Ist das nicht reichlich übertrieben?

Hörhan: Durch die Digitalisierung wird eine Vielzahl an klassischen Mittelschicht-Jobs wegfallen. Banken, Versicherungen, der Transportsektor und viele andere Bereiche sind betroffen. In der Vergangenheit ist der Arbeiter wegautomatisiert worden, heute wird der White Collar Worker, der auch intellektuelle Tätigkeiten verrichtet, durch Maschinen ersetzt.

STANDARD: Aber sind es nicht gerade die intellektuellen Tätigkeiten, bei denen der Roboter am schwierigsten einzusetzen ist?

Hörhan: Wenn das Auto selbst fahren kann, brauche ich keinen Taxifahrer mehr. Wenn ich heute einen Robo-Adviser habe, brauche ich keinen Bankberater mehr, der Finanzprodukte an Kleinanleger verkauft. Wenn ich einen Robo-Anwalt habe, brauche ich keinen Legal Researcher mehr. Wenn ich einen Computer habe, der mir aufgrund meiner schon verfügbaren Daten eine Erstdiagnose erstellt, benötige ich keinen praktischen Arzt, der sich eine halbe Minute mit mir beschäftigt, ein Pulver verschreibt oder mich zum nächsten Arzt schickt.

STANDARD: Welche Folgen hat diese Entwicklung?

Hörhan: Damit werden kurzfristig sehr viele Jobs verlorengehen. Das Problem ist, dass nicht so viele Personen in so kurzer Zeit umgeschult werden können, um die gefragten Jobs ausführen zu können: Onlinemarketing, Programmierung, Logistik, Verkehrsleittechnik, prädiktive Datenanalyse, Virtual Reality, Machine to Machine Communication, IT-Recht, IT-Ethik. Wenn Sie sich in diesen Bereichen auskennen, können Sie Geld drucken.

Hörhan hat sich die New Economy gut angesehen und u.a. in der Google Academy gelernt. Diese Erfahrungen fließen in sein neues Buch ein.

STANDARD: Welche gesellschaftlichen Veränderungen gehen damit einher?

Hörhan: Viele Personen in hohen Positionen – Bankdirektoren, Universitätsdozenten und viele andere, die sich mit der New Economy nicht beschäftigen – werden gesellschaftlich verlieren. Auf der anderen Seite kann ein 18-jähriger Hacker, der mit Schlabberhosen kommt und Gras raucht, der früher ein Outcast war und überall rausgeflogen wäre, heute zur gesellschaftlichen Elite zählen. Und wird es auch, weil diese Leute die New Economy verstehen.

STANDARD: Wie reagiert die Politik auf die Veränderungen?

Hörhan: Wir haben ein archaisches politisches System, das krampfhaft versucht zu bewahren, was nicht zu bewahren ist. Je länger man an dieser Politik festhält, desto größer werden Arbeitslosigkeit und gesellschaftliche Härtefälle sein.

STANDARD: Wie sollte sie reagieren?

Hörhan: Sie müssten heute schon Programme haben, in denen Sie die Menschen massenhaft umschulen. Derzeit wird eher diskutiert, die Arbeitszeit zu senken oder die Steuern zu erhöhen.

STANDARD: Wie wird sich die Digitalisierung auf einzelne Branchen auswirken?

Hörhan: Was die New Economy auch gefährlich macht, ist das Prinzip "The winner takes it all". Die Plattform, die Marke, die einen Vorsprung hat, bekommt den weitaus größten Kuchen, das sogenannte Olympia-Prinzip. Der Erste bekommt 70 Prozent, der Zweite 25, der Dritte fünf Prozent, der Rest nichts. Wenn man das umlegt auf 50 Anwälte oder Tierärzte, dann werden drei künftig irrsinnig viel verdienen, der Rest fast nichts mehr. Das heißt, das Internet spaltet die Gesellschaft.

STANDARD: Das klingt nach Monopolbildung.

Hörhan: Amazon, Google, Apple, Spotify, Airbnb und viele andere sind alles Monopole oder Oligopole und teilweise Multimonopole, die die Preise anheben können. Die New Economy ist dafür prädestiniert. Das führt dazu, dass sich die Gesellschaft spaltet in wenige, die viel haben, und viele, die nichts haben. Im deutschsprachigen Raum wird sich das in den nächsten fünf Jahren abspielen, und zwar in jeder einzelnen Branche. Wer keine Webpräsenz hat, wird nicht gefunden und kann keinen Auftrag bekommen. Wer einen schlechten Onlineauftritt hat, wird ihn ebenfalls nicht bekommen. In den nächsten Jahren werden die Würfel fallen, wer die Monopole sein werden und wer absackt. Die meisten Leute verdrängen das hierzulande. Sie werden brutalst unter die Räder kommen und verarmen.

STANDARD: Aber die Durchlässigkeit wird durch das Internet erhöht, weil kein Kapital notwendig ist. Früher benötigten Sie eine Druckerei, jetzt können Sie mit einem Computer Informationen verbreiten.

Hörhan: Noch. Wenn man jetzt zu den Ersten gehört, die eine digitale Visitenkarte aufbauen, sind die Chancen groß. Wenn dann eine starke Marke etabliert ist, wird es unglaublich schwer für die anderen hineinzukommen. Eine Immobilienplattform, die etabliert ist, hat viele Objekte und viele Nutzer. Wenn ich etwas suche, gehe ich auf die Seite, die das größte Angebot hat. Die Eintrittsbarrieren werden aufgrund der Natur des Internets sehr hoch.

STANDARD: Noch einmal zur Spaltung der Gesellschaft. Das Internet könnte die Aufstiegschancen massiv verbessern, weil Bildung nichts mehr kostet.

Hörhan: Die Möglichkeiten zur Ausbildung sind da, aber man muss sie nützen. Die meisten Leute sind faul. Wer nur einen sicheren Job haben will, wird wirtschaftlich untergehen.

STANDARD: Das ist aber reichlich pauschal.

Hörhan: Schauen Sie, was die meisten Follower auf Youtube hat. Computerspielen, Bum-bum-Spiele, Pranks – wenn Leute mit Burgern werfen oder anderen Blödsinn machen – das hat die meisten Zugriffe. Die besten deutschsprachigen Youtuber haben vier, fünf Millionen Follower. In ein paar Jahren werden sie 15 Millionen haben, das ist mehr als die besten Fernsehsendungen. Daher führt das Internet zu einer großen Verblödung.

STANDARD: Das Internet verbreitet auch viele seriöse Informationen, beispielsweise STANDARD-Artikel.

Hörhan: Sicher, aber die große Gefahr heißt Virtual Reality. Sie können virtuell Computer spielen, Auto fahren und Sex haben. Diese Welt wird besser sein als die reale. Der Aston Martin steht blankgeputzt am Strand von Malibu, es gibt keine Geschwindigkeitsbeschränkung und keine Polizei, die einen aufhält. Viele Menschen, die mit der realen Welt nicht zufrieden sind, beamen sich in die virtuelle Welt, verfetten und verblöden. Ein kleiner Teil wird die virtuelle Welt bauen, steuern und eine Menge Geld damit verdienen.

STANDARD: Wie kann man gegensteuern?

Hörhan: Es bedürfte massiver gesellschaftspolitischer Aktivitäten, die diese Entwicklung verhindern. Da diese Themen aber maximal Leute im Silicon Valley und an Eliteunis verstehen, aber sicher nicht das politische Establishment Europas, führt das zu der schon genannten Verblödung großer Teile der Gesellschaft. Das Bildungssystem bereitet die Leute auch nicht darauf vor. Nehmen Sie die sozialen Medien: Facebook führt dazu, dass gleichzeitig links- wie rechtsradikale Gruppen eine große Verbreitung finden. Es gibt Stimmen, die sagen, dass Brexit, Trump und Le Pen teilweise eine Folge der Facebook-Algorithmen sind.

STANDARD: Welche Antworten haben Sie?

Hörhan: Weite Teile der Bevölkerung umschulen und die Jugend auf die New Economy vorbereiten. Ein Umfeld anbieten, das für digitale Unternehmen attraktiv ist. Länder, die so agieren, werden vielleicht mit einer Arbeitslosigkeit von zehn, 15 Prozent auskommen. Staaten, die es besonders wild treiben, wie beispielsweise Frankreich, können durchaus auf 50 oder 60 Prozent Arbeitslosigkeit kommen. (Andreas Schnauder, 25.2.2017)