Liebe Frau Österreicherin!

Lieber Herr Österreicher!

Ich erkenne die Menschen in meinem als Heimat erachteten Österreich oftmals nicht mehr.

Als ich 1969 in Oberösterreich zur Welt kam, als Kind einer traditionellen muslimischen Familie, der ersten Gastarbeiter, war geplant, dass meine Eltern als vorübergehende Gäste für ein paar Jahre bleiben sollten.

Die Koffer standen jahrzehntelang bereit, um Österreich wieder zu verlassen. Aber auch Österreich war auf diese Menschen, die Tag und Nacht in den Fabriken, Steinbrüchen und Baustellen mithalfen, Österreichs Wirtschaft anzukurbeln, angewiesen.

Die Jahre vergingen, ich ging in einen katholischen Kindergarten in Perg, der von Ordensschwestern geführt wurde. Meine Mutter war eine der ersten muslimischen Frauen im Ort, sie trug Kopftuch. Das war kein Hindernis mit den Perger Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Kontakt zu stehen. Ganz im Gegenteil, die Oma von nebenan lernte mit uns Deutsch. Margit, Sylvia, Anita, Markus waren meine ersten Freunde.

Baklava und Apfelstrudel

Mama zeigte Oma, wie man Baklava und Burek macht. Und Oma zeigte meiner Mutter, wie man einen handgezogenen Apfelstrudel macht.

Meine Eltern haben jahrelang ehrenamtlich, die neu angekommenen Familien empfangen und haben das geleistet, was jetzt NGOs machen. Sie haben jahrelang gemeinnützige Arbeit geleistet. Warum? Um auch ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und um die Menschen, die der Sprache nicht mächtig sind, zu unterstützen.

Was, in Gottes Namen, hat sich seither verändert? Es sind über 40 Jahre vergangen. All diese Zeit lang glaubte und fühlte ich mich als Teil dieser Gesellschaft, als anerkannte Person, die eine gute Ausbildung genossen hat und ihr Leben hier – in der neuen Heimat – lebt. In den vielen Jahren meiner beruflichen Tätigkeit, mittlerweile sind es über 25 Jahre, war ich bemüht, Menschen, die nach Österreich zugewandert oder geflüchtet sind, zu betreuen und Integrationsarbeit zu leisten. Ich will ein gemeinsames Miteinander schaffen. Das Ziel war das Verbindende, nicht das Trennende.

Aber auch ich bin, speziell in den vergangenen zwei Jahren, da ich mich als gut gebildete, moderne Frau dazu entschlossen habe, dass Kopftuch zu tragen, gegen sehr schmerzenden Alltagsrassismus nicht gefeit. Was passiert da in vielen Köpfen? Ich verstehe es nicht, ich empfinde nur Schmerz, tiefgehende Kränkung und Distanz.

Ist es gewollt und bewusst gesteuert, dass auch Menschen wie ich sich zurückziehen und kein Teil unserer Gesellschaft sein sollen? Ist es erwünscht, dass wir nebeneinander leben und nicht mehr das Miteinander leben sollen?

Es hieß jahrzehntelang, ihr seid hier geboren und aufgewachsen, ihr seid Österreicher, ihr gehört zu uns. Ich habe daran geglaubt, für mich war die Türkei immer die Heimat der Eltern.

Wo gehöre ich jetzt hin, wo gehören meine Kinder hin? Wie kann ich Österreich meine Heimat nennen, wenn so viele Menschen verachtend auf mein Kopftuch starren und sagen, ich ekle mich vor ihnen? Wie soll die jetzige Generation gut und gesund, mit Selbstvertrauen und Hoffnung aufwachsen, wenn den Eltern und auch den Kindern vieles nicht mehr möglich ist?

Nach welchem Lebens- und Wertemodell soll ich leben, liebes Österreich?

Wir, eine riesige Community von Frauen mit Kopftüchern, die sich hier die Heimat geschaffen haben, in der zweiten und dritten Generation hier leben, gute Ausbildungen haben, in leitenden Positionen arbeiten oder diese anstreben, müssen uns rechtfertigen, warum wir das Kopftuch tragen? Ist das der Dank für die Anteilhabe an der Gesellschaft?

Ich appelliere an die Menschlichkeit: Es geht um jeden Einzelnen, Mann oder Frau. Keiner hat das Recht, Ehre und Stolz der Menschen zu verletzen. Ich glaube an das warmherzige, aufgeschlossene, tolerante Österreich. (Elif Yilmaz, 24.2.2017)