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Aki Kaurismäki feixt auf der Berlinale mit Fotografen.

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Zur Not versucht man es mit japanischem Essen in der finnischen Eckkneipe: In Aki Kaurismäkis "The Other Side of Hope" halten die Außenseiter noch zusammen.

Sputnik Oy/Malla Hukkanen

Wien – Ein syrischer Flüchtling und ein finnischer Hemdenverkäufer, der ins Gastgewerbe wechselt, das sind die Helden von The Other Side of Hope, dem neuen Film von Aki Kaurismäki, für den er auf der Berlinale gerade als bester Regisseur ausgezeichnet wurde. Er erzählt von wortkargen Außenseitern, die in einer desolaten Kneipe gegen den Trend der Zeit ausharren. Kaurismäkis Tragikomödie ist warmherzig und melancholisch, sein Blick auf die Defizite von Staat und Gesellschaft allerdings äußerst ernüchtert. "Es gibt keine Zukunft" wählt der Regisseur gleich zum Auftakt des Interviews als Trinkspruch und setzt damit den Kontrapunkt zum Prinzip Hoffnung.

STANDARD: Anlässlich von "Le Havre" sagten Sie, dass Sie so weit wie möglich fort von Finnland wollten. Nun sind Sie zurückgekehrt. Wollten Sie von den Veränderungen des Landes durch die Mitte-rechts-Regierung erzählen?

Kaurismäki: Sie ist seit 2015 im Amt. Von Finnland ist fast nichts mehr übrig. Alles, was gestohlen werden konnte, wurde gestohlen.

STANDARD: So negativ?

Kaurismäki: Ich bin nicht negativ, sondern realistisch. Sie beginnen sogar schon, die Wälder abzuholzen. Und wo immer sie Nickel oder Uran finden, stellen sie Minen auf. Die Illusion von Demokratie bleibt vorhanden – allerdings nur in der Erinnerung.

STANDARD: Wenn man sich den Film vor Augen hält, hat man den Eindruck, dass selbst in Finnland ein paar aufrechte Gesellen übrig sind.

Kaurismäki: Kino ist Fiktion. Was man den Menschen zeigen will, ist etwas anderes als das, was wirklich passiert. Meine Filme sind nur Illusionen. "La ilusión viaja en tranvía" (Titel eines Buñuel-Films, Anm.).

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, je pessimistischer Sie selbst sind, desto hoffnungsvoller Ihre Filme – gilt das nicht mehr?

Kaurismäki: Das war vor sechs Jahren! Jetzt rasen wir wie auf einem Asteroiden auf einen Planeten zu. Als Regisseur muss ich jedoch anders vorgehen, selbst wenn ich weiß, dass alles umsonst ist. Doch ich bin nur ein lausiger Amateur.

STANDARD: Das soll ich Ihnen glauben?

Kaurismäki: Ja, sollten Sie.

STANDARD: Würden Sie dennoch sagen, dass es in Ihrem Film Hoffnung gibt?

Kaurismäki: Das hoffe ich ...

STANDARD: Sie zeigen, wie der Syrer Khaled seinen Weg durch die Institutionen geht ...

Kaurismäki: Seine Deportation ist Wort für Wort einem realen Verfahren entnommen. Ich habe nur seine Herkunftsstadt geändert. Gnadenlos.

STANDARD: Es gibt viele Szenen, in denen Geld die Hände wechselt.

Kaurismäki: Für die Steuerbehörde: Es handelt sich um Falschgeld!

STANDARD: Jeder greift nach dem, was er bekommen kann. Nur ein Restaurantbesitzer, ein wohlmeinender Kapitalist, kommt Khaled und seinen Angestellten entgegen.

Kaurismäki: Weil er ein Kapitalist ist, der nicht ans Geld denkt. Er hat kein Geld, also kann er eigentlich auch kein Kapitalist sein ...

STANDARD: Er versucht aber, Geld zu machen.

Kaurismäki: Nein, das ist ihm eher egal. Er hat nur eine Eckkneipe – dort versucht er, über die Runden zu kommen. Ich bin mit Karl Marx der Meinung, dass Geld umbringt. Geld hat keine Moral, hatte es noch nie.

STANDARD: Was kann gegen die Macht des Geldes unternommen werden?

Kaurismäki: Die Frauen müssen auf die Barrikaden steigen, besser heute als morgen! Wenn man das System der globalen Finanz nicht boykottiert, wird diese Welt zugrunde gehen.

STANDARD: Das hat Donald Trump auch versprochen.

Kaurismäki: Ja, es ist erschreckend, dass dieser Bastard nun so nah am roten Knopf sitzt. Vielleicht wird es etwas ändern. Trump wird keine vier Jahre durchhalten. Ich ziehe jedenfalls Donald Duck vor. Von ihm hab ich Lesen gelernt.

STANDARD: Warum setzen Sie auf die Frauen?

Kaurismäki: Frauen sind weiser als Männer. Das wissen Sie selbst!

STANDARD: Religion spielt im Film keine Rolle. Selbst Khaled hat seinen Glauben verloren.

Kaurismäki: Ich bin ein Atheist. Als Khaled gefangen wird, sagt der rechtsradikale Typ zu ihm: "Ich hab dich gewarnt, Jude." Ich habe versucht, den ganzen Rassismus dieser Welt in diese Szene zu stecken. Rassismus ist ganz generell mein Feind.

STANDARD: Kommen wir zu bleibenden Werten: Das Auto des Restaurantbesitzers ist sehr eindrucksvoll, ein richtiger Tanker.

Kaurismäki: Das ist mein Auto. Auch der Hund im Film ist meiner. Sie kennen sicher die gelben Taxis aus New York. Das waren bis in die 1980er Checker. Das Auto im Film ist einer davon. Eigentlich wurden sie nur für Taxis gebaut.

STANDARD: Wie viele Autos besitzen Sie denn?

Kaurismäki: Glücklicherweise nicht mehr so viele. Mein Anspruch ist es, eines pro Jahr zu verkaufen. Von wie vielen Tellern kann man schon essen? Ich bin ein Sammler. Vor zwölf Jahren sagte meine Frau zu mir: Fange ja nicht auch noch an, Radios zu sammeln! Daran habe ich mich gehalten.

STANDARD: Aber auch daran, wieder auf Film zu drehen!

Kaurismäki: Ich kann mich nicht dazu überwinden, mit einer lächerlichen zigarettenschachtelgroßen Digitalkamera zu drehen.

STANDARD: Mit Timo Salminen, Ihrem Kameramann, arbeiten Sie schon sehr lange zusammen.

Kaurismäki: Seit 35 Jahren. Ich sage bloß: "Hierher die Kamera. Licht." Wir sind wie ein altes Pärchen. Bei den ersten Filmen haben wir noch da und dort diskutiert, ob wir die eine oder andere Lösung bevorzugen. Wenn das Licht eingerichtet ist, gehe ich in die nächste Bar. Ich: "Zurück in 60 Minuten?" Er: "In 47."

STANDARD: Für wann planen Sie den letzten Teil der Trilogie?

Kaurismäki: Es ist die erste Trilogie, die aus zwei Teilen besteht. No more cinema.

STANDARD: Das meinen Sie doch nicht ernst.

Kaurismäki: Oh doch. Sergio Leone starb mit 60 auf dem Weg zurück von Moskau. Ich bin nah dran. Ich will lieber Gärtner sein. Ich kann gut mit Bäumen. Ich möchte wie George Orwell in einem Landhaus leben. Ich liebe das Kino, aber ich werde nicht für das Kino sterben. (Dominik Kamalzadeh, 25.2.2017)