Mein Fotografieprojekt im Libanon läuft nun schon seit mehr als einem Monat. Obwohl ich eigentlich in Saida arbeite und wohne, fahre ich jede Woche in den Stadtteil Shatila in Beirut, um an der Realisierung des Fotoprojekts zu arbeiten. Bereits mehrere Workshops wurden abgehalten, die meisten Filme verschossen und nun ist die Erwartungshaltung groß, wie die entwickelten Bilder aussehen.

Meine Schülerinnen

Der erste Workshop galt vor allem dem Kennenlernen der Teilnehmerinnen. Dadurch, dass ich das Projekt in Kooperation mit SB OVerSeas durchführe und die Organisation bereits eine Schule vor Ort betreut, konnte ich eine bestehende Jugendklasse von meinem Projekt überzeugen. Es ist eine reine Mädchenklasse und der Großteil ist um die 15 Jahre alt. Sie stammen überwiegend aus der Region um Idlib oder aus Vororten von Aleppo und haben den Krieg am eigenen Leib zu spüren bekommen. Sie fanden sich in Kämpfen zwischen den Extremisten der Al-Nusra Front (heute: Dschabhat Fatah asch-Scham) und dem Regime wieder. Viele von ihnen mussten ihre Familie zurücklassen und haben Bomben- und Giftgasangriffe hautnah erlebt.

Seit mehreren Jahren leben sie bereits zusammen mit palästinensischen Flüchtlingen im Stadtteil Shatila. Ihre Lebensumstände haben sich drastisch geändert. Viele kommen aus sehr ruralen Verhältnissen und engagierten sich weder für politische Prozesse noch für die Protestbewegung. Trotzdem wurden sie im Laufe des Konflikts zum Spielball bewaffneter Akteure, sodass eine Flucht der einzige Ausweg blieb. Die Ungewissheit, wie ihre Zukunft aussehen wird, ob und wann sie wieder nach Syrien zurückkehren können, was sie dort erwartet und wie sie ihr Leben derzeit im Libanon gestalten sollen, sind Fragen, auf die es keine Antworten gibt

Miteinander, Füreinander, Durcheinander

Als die Schülerinnen vom Projekt hörten, gab es am Anfang noch einige skeptische Blicke, vor allem als ich ihnen die analogen Kameras vorstellte. Schließlich sind sie zeitgemäß mit Smartphones und Selfies vertraut. Analogkameras und Filmrollen wirken dagegen eher steinzeitlich und obsolet.

In der zweiten Workshop-Woche standen die Grundlagen der Fotografie auf dem Tagesplan. Die jungen Frauen lernten nicht nur wie sie die Kameras bedienen und welche Motive interessant sind sondern auch wie man Bilder gezielt komponiert, Licht am besten einsetzt und den eingebauten Blitz effektiv nützen kann. Zum Üben standen ihnen zwei Spiegelreflexkameras zur Verfügung. Das Gefühl für den richtigen Augenblick und die Suche nach geeigneten Motiven stand im Vordergrund. In zwei Gruppen machten sie sich auf die Reise ihre Umgebung mit anderen Augen kennenzulernen. Spätestens ab diesen Zeitpunkt waren alle Zweifel beseitigt und die ersten Kameras wurden verteilt.

 

Bild aus dem Workshop.
Foto: Hanaa Jabaat
Bild aus dem Workshop.
Foto:Aya Askar

Nicht alles kann nach Plan ablaufen

Es war geplant, die Filme so schnell wie möglich entwickeln zu lassen, damit die Mädchen die Möglichkeit bekommen ihre Bilder zu sehen und zu präsentieren. Leider sind wir immer noch auf der Suche nach einer geeigneten Möglichkeit, die Fotos vor Ort entwickeln zu lassen. Derzeit sieht es leider danach aus, dass die Bilder wahrscheinlich erst in Österreich das Licht der Welt erblicken. Das ist unglaublich Schade, da es den Mädchen die Möglichkeit raubt, ihre eigene Arbeit zu betrachten. Derzeit arbeite ich trotzdem an einem Weg die Bilder an die jungen Frauen weiterzugeben und sei es nur per Dropbox. Sie haben es verdient, ihre Arbeit zu sehen.

Zeichnunng und persönliche Erzählung aus den Workshops.
Foto: Fabian Rogatschnig

Da die Ausstellung so konzipiert wird, dass auch die Mädchen vorgestellt werden, galt es in den nächsten Workshops etwas mehr über meine Teilnehmerinnen zu erfahren. Storytelling stand im Mittelpunkt. In einem so komplexen Kontext wie diesem galt es besonders sensibel vorzugehen um keine Retraumatisierung auszulösen. Wir begannen deshalb mit einer Zeichenübung, um die Stimmung aufzulockern. In weiterer Folge wurden kurze Leitfragen an die Tafel geschrieben, um den Einstieg in das Thema zu erleichtern. Die Fragen reichten von "Wo bist du aufgewachsen?" über "Was hast du erreicht, auf das du stolz bist?" bis zu "Wie stellst du dir das Leben in zehn Jahren vor?" Sie galten nur als Anhaltspunkte – die Mädchen konnten frei von der Seele schreiben, was ihnen wichtig ist.

Auch die immanenten Themen Krieg und die Erfahrung von Flucht wurden angesprochen – doch meist von den Mädls selbst.  Die Geschichten wurden auf Arabisch geschrieben und werden gerade übersetzt, aber ich habe bereits erste Auszüge davon gesehen. Obwohl man täglich im Kontext mit geflüchteten Menschen arbeitet, ist es noch einmal ein ganz anderes Gefühl persönliche Gedanken, Geschichten und Erlebnisse auf gedrucktem Papier vor sich zu haben. Dabei wird persönliches Leid noch einmal viel stärker visualisiert – ein Effekt, den ich mit den Fotografien ebenso erzielen möchte. Die Kombination von beidem – Text und Fotografie – zeigt nicht nur  Ausschnitte aus ihren derzeitigen Leben, sondern wirft einen Blick auf das, was sie bereits durchgemacht und hinter sich gelassen haben. Eines darf man nicht vergessen: Diese Mädchen haben mit 15 schon mehr erlebt und verloren, als sich viele von uns überhaupt vorstellen können. (Fabian Rogatschnig, 3.3.2017)

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Falls Sie wissen, wie ich die Fotos der Schülerinnen dennoch vor Ort entwickeln kann, bin ich über jeden Tipp dankbar.