Es sind sagenumwobene Orte wie Timbuktu, Esfahan, Medina oder Harar, die das Herz eines Reisenden höher schlagen lassen. Seit ich das erste Mal Bilder der mittelalterlichen Altstadt von Harar in Äthiopien gesehen habe, verfolgte mich ein beinahe täglicher Drang dorthin zu reisen.

Mein Mitbewohner Marco und ich reisen mit dem Bus aus Addis Abeba an. Wie es in vielen afrikanischen Städten üblich ist, begeben wir uns schon um 3 Uhr morgens zum Busbahnhof. Das Chaos ist überschaubar und die Abfahrt erfolgt kurz nach 5 Uhr. Die circa zehnstündige Fahrt nach Harar ist geprägt von unglaublicher Landschaft und vielen kurzen Stopps auf der Straße – Menschen oder Tiere passieren die Fahrbahn oft unvorsichtig. 

Zur Mittagspause einfach an einer Straßenseite stehen bleiben.
Foto: Max Leyerer

Harar liegt im Osten von Äthiopien und ist grundsätzlich in zwei Stadtteile unterteilt: Neu-Harar, wo wir mit dem Bus ankommen, und Alt-Harar, umgeben von einer Festungsmauer und als Unesco-Weltkulturerbe deklariert. Wir schlendern durch das Stadttor hinein nach Alt-Harar und versuchen ein traditionelles Harari-Haus zu finden, in dem wir übernachten können. Laut Reiseführer gibt es nur einige Familien, die extra Zimmer in ihrem Haus als Schlafplätze anbieten und es sind nur wenige mit genauen Ortsangaben beschrieben. 

Ein Teenager bietet an, uns zu einem der Harari-Häuser zu bringen. Wir wollten den Weg eigentlich alleine finden, aber da es schon spät war und die Fahrt ermüdend, willigen wir ein. Hiob, wie der Junge heißt, erzählt von der Stadt. Er macht einen entspannten, freundlichen Eindruck. Bei einem pastellgrünen Harari-Haus angekommen, verabschiedet er sich vorerst.

Das Tor zu Alt-Harar.
Foto: Max Leyerer

Im Zuge der Reisevorbereitung haben Marco und ich von Hyänen gehört, die um Harar wohnen und angeblich gelegentlich nachts durch die Straßen streunen. Eine Legende, der wir auf alle Fälle auf die Spur gehen wollen. 

Wir treffen Hiob spätabends wieder und erzählen ihm von den Männern, die Hyänen vor den Stadttoren füttern. Das soll die Hyänen davon abbringen, weiter in die Stadt hineinzukommen. Mit funkelnden Augen zeigt er in eine Richtung und wir gehen los. 

Die Legende der Hyänen-Männer

Vor einigen Jahrzehnten begannen Hyänen in Harar einzufallen und alles zu attackieren, was ihnen vors Maul lief. Der Legende nach hat ein alter Mann all seinen Mut aufgebracht und die Hyänen gezielt vor der Stadtmauer zu füttern begonnen. Die Jahre vergingen, die Attacken wurden zur Ausnahme, und einige Reisende verbreiteten die Legende der tapferen Hyänen-Männer, die jeden Abend mit einem Korb Fleisch vor die Stadttore stapften, um die Bestien zu besänftigen.

Bis in die Fingerspitzen mit Adrenalin gefüllt gehen wir auf einen kleinen Platz vor der Stadtmauer. Ein abgestelltes Tuk-Tuk leuchtet mit seinen Scheinwerfern und wir erkennen sofort eine majestätische, riesige Hyäne. Wir verspüren Angst und Aufregung. 

Eine hungrige Hyäne.
Foto: Max Leyerer

Durch das große Interesse der Touristen hat sich für die Hyänen-Männer ein recht profitables Business entwickelt. Für 50 Birr, umgerechnet circa zwei Euro, darf man sich neben die Hyänen-Männer setzen und mit einem Spieß, auf dem Fleisch hängt, die Hyänen füttern.

Ein waghalsiges Unterfangen 

Eine monströse Hyäne dominiert das Geschehen mit ihren leuchtend grünen Augen und beeindruckenden Gang. Ich knie mich neben den Hyänen-Mann, zittere wie damals bei der Matura, und bekomme einen dünnen Spieß in die Hand gedrückt. Ich versuche die Hyäne immer im Blick zu haben. Sie schleicht um mich herum und als sie das erste Mal in einen Meter Entfernung vor mir steht, muss ich mich daran erinnern, ein- und auszuatmen. 

Ich halte den Spieß hoch und die Hyäne schnappt zu. Das machen wir ein paar mal, die Aufregung steigt weiter. Der Hyänen-Mann hält mir einen weiteren Spieß hin und sagt "Put it between your teeth." Habe ich ihn gerade richtig verstanden? Ich soll den Spieß zwischen meine Zähne stecken? Ich muss mich wieder ans Atmen erinnern. 

Die unersättliche Hyäne hält ihren Kopf tief unten und schleicht umher. Sie kommt näher. Ich spanne den Spieß mit Fleisch am Ende zwischen meinen Zähnen fest, fokussiere die Hyäne, sie kommt ganz nahe an mich heran und schnappt zu. Ich kann mich kaum rühren vor Aufregung. Das Adrenalin schießt durch meinen Körper und ich realisiere, dass ich gerade das zweitgrößte Raubtier Afrikas Mund-zu-Mund gefüttert habe. 

Marco ist als nächstes dran. Er kniet neben dem Hyänen-Mann und erlebt denselben Adrenalinrausch wie ich. Die eigene Fahrlässigkeit der Situation ist geblendet durch diesen Schub und als ich wieder bei Sinnen bin, bin ich froh über den glimpflichen Ausgang.

Harar erkunden

Früh morgens werden wir von den Gebetsrufen geweckt. Unser Zimmer im Harari-Haus liegt im zweiten Stock mit einer kleinen Terrasse. Es ist sehr einfach gehalten, aber angenehm. Die ersten Sonnenstrahlen und der Ausblick über das nebeldurchzogene, mittelalterlich wirkende Harar motivieren uns umgehend hinauszugehen und die Gegend zu entdecken.

Sonnenaufgang in Harar.
Foto: Max Leyerer

Ein Spaziergang durch Alt-Harar ist eine Attraktion. Die vielen bunten Wege, Mauern und Häuser erzeugen eine ungemein farbenfrohe, entspannte und einladende Atmosphäre. Die Hararis sind freundlich und ihre Kinder aufgeweckt. Nicht nur einmal verfolgen uns ein paar aufgeregte Kinder durch die verwinkelten Gassen. 

Heiliges Harar

Beim Entdecken von Harar fällt eine ungemeine Dichte an Moscheen und Kirchen auf. Etwas mehr als 80 Moscheen gibt es hier. Für äthiopische Muslime ist Harar die viertheiligste Stadt der Welt, nach Mekka, Medina und Jerusalem. Beim Schlendern über den Markt stoßen wir auf eine wunderschöne, kleine, aber bunte Moschee. Sinnbildlich für die farbenfrohe Natur der Hararis.

Foto: Max Leyerer

Die Sonne sinkt, erste Schatten werden in die Gassen geworfen und die Atmosphäre wird kühler. Sobald es dunkel ist, begeben wir uns wieder vor die Stadttore. Dieses Mal ein Stück weiter hinaus. 

Ein kurze Fahrt mit einem Tuk-Tuk später sind wir auf einem Feld. Zwei Gefährte leuchten in die Tiefen der Nacht. Vereinzelt erkennen wir grüne Punkte, dann mehrere. Wenn jedes grüne Augenpaar eine Hyäne ist, dann sind wir jetzt von mehr als zehn Hyänen umgeben. So schnell ist auch der jugendliche Übermut in ein angsteinflößendes Zittern gewechselt.

Marco und seine Hyäne.
Foto: Max Leyerer

Eine wahnsinnige Erfahrung

Wir nehmen neben dem Hyänen-Mann Platz und bevor ich mich umsehen kann, werde ich nach vorne gedrückt und eine Hyäne steht mit den Vorderpfoten auf meinem Rücken. Der Hyänen-Mann hält den Spieß vor mich und das hungrige Biest schnappt an meinem Kopf vorbei. Wie paralysiert sitze ich da. Marco spürt die Krallen in seinem Rücken und wir erleben einige adrenalin geladene Minuten umgeben von mehr als zehn Hyänen. 

Anschließend erklärt man uns, dass die Männer diese Hyänen aufgrund der jahrelangen Fütterung sehr gut kennen, sie an Menschen gewöhnt sind und sie keinen Schaden an der Fütterung oder an dem Kontakt mit Menschen nehmen. 

Umgeben von Hyänen.
Foto: Max Leyerer
Foto: Max Leyerer

Nach diesen wilden Tagen in Harar ist es Zeit weiterzureisen und mehr von Äthiopien zu entdecken. Aber dieser Ort mit seinen liebevollen Einwohnern und den furchterregenden tierischen Nachbarn ist einer jener Orte, die als Legende in den Gedanken ewig weiter leben werden. War das alles denn wirklich so oder habe ich nur geträumt? (Max Leyerer, 13.3.2017)

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