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Walter Grond (59) im Dschungel der Liebe: Der Romancier und Essayist zimmert in "Drei Lieben" ein Romanhäuschen für eine eigentlich "unmögliche" Familie. Die Frage nach der persönlichen Schuldfähigkeit muss der Leser sich selbst stellen.

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Walter Grond, "Drei Lieben". Roman. € 19,90 / 168 Seiten. Haymon, Innsbruck-Wien 2017

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Wien – Die Vorstellungen davon, was ein Weltbürger sei, sind in Österreich traditionell schwach ausgebildet. Manchmal war für die Entstehung des Fernwehs in unseren Breiten bloß der Krieg zuständig. Er, die denkbar größte Katastrophe, zwang junge Männer in die Welt hinaus. Der erste, reichlich mysteriöse Held in Walter Gronds neuem Roman Drei Lieben ist ein solcher Globetrotter wider Willen.

Hermann Opitz, der Großvater des Erzählers, meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst. Man schreibt 1917. Die Dinge stehen für die Monarchie im fernen Galizien nicht zum Besten. Hermann aber tauscht seine offenbar unhaltbar gewordene Existenz gegen etwas vermeintlich Besseres ein. In der Stunde des Abschieds von seinem niederösterreichischen Dorf konstatiert er, die Welt sei für ihn "verdorrt". Ihm selbst ist kaum wohler zumute: "Seine Gliedmaßen hatten sich wie vom Körper gelöst, und alles Feste in ihm war verdampft."

Ausgerechnet Baku

Ab nun ist alles, was dem Großvater Schreckliches begegnen mag, noch ein Glück. Den Alpenvorländer verschlägt es ausgerechnet nach Baku am Schwarzen Meer. Dort wetteifern die Ölbarone im Schatten ihrer Bohrtürme darum, wer am effektivsten seine Petrolrubel in hängende Gärten investiert. Hermanns Unterschlüpfen im Baku gehört zu den vielen Volten eines schlanken Buches, dessen ganze Raffinesse in der Errichtung von Pappendeckelkulissen besteht. Hermann, der versprengte Deserteur, minnt ausgerechnet die unsagbar schöne Tochter eines lokalen Magnaten.

Er selbst verdingt sich als Gärtner. Bald werden die Bolschewiki das Idyll zerstören. In diesem renommieren reiche Aserbeidschaner mit Grammofonplatten und Kaiser-Wilhelm-Bärten. Noch der Flucht vor der Revolution 1919 – sie führt die Großeltern nach Paris – eignet ein Zug ins Großartige: "Mein Großvater hätte es sich nie träumen lassen, einmal im Orientexpress, dem König der Züge und Zug der Könige, Europa zu durchqueren."

Klischee der Liebe

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar: Mathias, der Enkelerzähler, ist an Unzuverlässigkeit kaum zu überbieten. Es gehört zu den Klischees der bürgerlichen Vorstellungswelt, man könne Ereignisse der Zeitgeschichte umso besser begreifen, je tiefer sie ins Private hinabreichen. Jale, die Großmutter, wird im Pariser Exil zur Hüterin einer Überlieferung, die die wahren Katastrophen des 20. Jahrhunderts kaum berührt. Als eine Art Scheherezade soll sie die Lücken der Geschichtsschreibung schließen. Der Schleier der Erzählkunst verdeckt die Blößen persönlicher Schuld.

Walter Grond (59), ein Tausendsassa unter den heimischen Autoren, hat tatsächlich einen experimentellen Roman geschrieben. Im zweiten Teil gaukelt Mathias sich in das Ursprungsdorf des Auswanderers Hermann zurück. Er trifft dort auf dessen verwitwete Tochter aus erster Ehe, eine monströse Thomas-Bernhard-Figur, die mit gehässiger Schwätzlust ihre Nazi-Vergangenheit vor dem Verwandten ausbreitet. Und es scheint tatsächlich so, als wäre unser liebenswürdiger Erzähler ein wenig schwer von Begriff. Wiederum soll sich die neuere Zeitgeschichte in den privaten Regungen und sexuellen Neigungen ihrer Beteiligten abbilden. Grond macht die unerhörte Probe aufs Exempel. Indem er die Zeitzeugen wie auch deren Abkömmlinge in ihr privates Elend entlässt, verwischt er wohlweislich das politische Feld. Aber erst auf einem solchen wäre die Zuweisung von Verantwortung sinnvoll möglich.

Genügsame Maulwurfsperspektive

So ist man geneigt, noch einige Unbeholfenheiten auf der Habenseite dieses tückischen kleinen Romans zu verbuchen. Mathias verdient sein Brot als Dramaturg an der Pariser Oper. Folgerichtig geht er den Schutzbehauptungen einer österreichischen Dorfbewohnerin auf den Leim. Für ihn als Theatermenschen ergibt der erste Anschein das fertige Bild. Die NS-Zeit kehrt wieder, aber sie wirkt wie heruntergebrochen auf ihr unumgängliches Substrat. Die Perspektive ist die perspektivisch genügsame der Maulwürfe.

Frauen verlieben sich in verschlossene völkische Männer mit Handschuhen. Privat huldigen solche Mannsbilder dem Sadomasochismus, nur um im Anschluss ihrem jeweiligen Bettschatz aus den Schriften Nietzsches vorzulesen. In den Eigenheimen stehen dafür arisierte Bösendorfer Fügel. Staub setzt sich auf ihnen ab. Der Krieg ist aus, und irgendwann heißen sie, ganze ohne Herkunftsbezeichnung, nur noch "Flügel".

Drei Lieben handelt davon, wie wenig über Hass und Schuld auszusagen ist, wenn man sich bloß der gewöhnlichen erzählerischen Mittel bedient. Walter Grond hat ein fantastisches potemkinsches Familiengebäude errichtet. In dem wird viel und heiß geliebt; aber den Besucher muss es trotzdem vor Kälte schaudern. (Ronald Pohl, 26.2.2017)