Vor zwei Jahren, am Abend des 27. Februar 2015, wurde der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Sichtweite des Kremls ermordet. Davor hatte er sich konsequent für Freiheit und Toleranz, Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingesetzt. Als bekannter Kritiker des russischen Präsidenten hatte er viele Feinde in einem autoritären Staatsapparat, der Kritik von unten fürchtet. Die Hintergründe des Mordes bleiben weiter unaufgeklärt. Wir müssen uns fragen, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen?

Es ist an einem Tag wie heute erlaubt, einmal darüber nachzudenken, wie viel freier die russische Gesellschaft wäre, wie viel weniger Tote es in der Ukraine gegeben hätte und wie viel besser die Beziehungen Russlands zu Europa wären, hätte Nemzow sich durchgesetzt.

Konsequente Öffnungspolitik

In den Neunzigerjahren gehörte Nemzow zur jungen Garde in Russland, der die Zukunft zu gehören schien. Als Gouverneur von Nischni Nowgorod hatte er die einst geschlossene Stadt durch konsequente Öffnungspolitik zu einem Vorzeigeprojekt des Wandels umgebaut. Von Präsident Boris Jelzin nach Moskau geholt, trat er dann als Vize-Ministerpräsident auf die nationale Bühne und wurde vom damaligen Präsidenten gar eine Zeitlang als Nachfolger präsentiert.

Seine Kompromisslosigkeit im Einsatz für Marktwirtschaft und Rechtsstaat brachte ihn schnell in Konflikt mit Oligarchen und anderen Beharrungskräften. Jelzin ertrug die Spannungen nicht lange und ließ ihn fallen. So verließ Nemzow 1998 die Regierung und verfolgte seine Ziele nun von der Oppositionsbank. Er hat klare Worte nie gescheut, auch wenn er sich dadurch Feinde machte. Das begann bei seiner Kritik des Tschetschenienkriegs unter Jelzin und ging zuletzt weiter bis zum Ukrainekrieg von Präsident Putin. Er lehnte die Annektion der Krim als Bruch des Völkerrechts ab und sagte das auch öffentlich.

Nemzow zeigte eine Konsequenz und Aufrichtigkeit, die ihm von Freunden wie Feinden mitunter als unklug angekreidet wurden. Doch Niederlagen und Repression wurden ihm zum Ansporn, nicht lockerzulassen.

Als der gesamten Opposition 2011 der Einzug in die Staatsduma verwehrt blieb, erkämpfte er 2013 ein Mandat in der Duma der Stadt Jaroslawl, um dann eben von regionaler Ebene aus seinen Beitrag leisten zu können.

Propaganda tötet

Bis zum Schluss stand Nemzow für die Hoffnung für ein demokratisches und offenes Russland. Gerade deswegen traf der Mord den Nerv der aufgeklärten Mittelklasse umso härter. Allen wurde vor Augen geführt, dass Gewalt und Mord noch immer nicht aus dem politischen Leben Russlands verschwunden sind. Dabei ist unklar, wer letztlich die strafrechtliche Verantwortung trägt. Die Täter hat man gefasst, die Hintermänner aber bleiben vermutlich unbehelligt. Zweifellos aber liegt die politische Verantwortung bei jenen Kräften im Kreml, die zuließen, dass die staatliche Propaganda Oppositionelle wie Nemzow auf gigantischen Plakaten in Moskau, im Fernsehen und in der Presse zur fünften Kolonne, also zu Volksfeinden, erklärte. Propaganda tötet. Sie hat nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun.

Das gilt auch für den Westen: Völkische Parolen trieben einen jungen Mann in Köln zu dem Versuch, die heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker zu ermorden. Die enthemmte Lügenkampagne der Brexit-Befürworter kostete die junge Labour-Abgeordnete Jo Cox das Leben, als ein Fanatiker sie niederstach.

Vor einem Vierteljahrhundert sind die Menschen von Leipzig bis Moskau für die freiheitliche Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft auf die Straße gegangen, gegen die Unterdrückung des real existierenden Sozialismus. Heute haben völkischer Nationalismus, sozialistische Abschottungsparolen gegen freien Handel und postfaktische Hetzparolen gegen Minderheiten wieder Konjunktur.

Boris Nemzow hätte sich gegen alle gestellt – daran sollten wir denken, denn sein Wirken sagt uns auch heute noch etwas: Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten, sie müssen immer wieder verteidigt und täglich neu erkämpft werden. (Alexander Graf Lambsdorff, 26.2.2017)