Nachdem Bauarbeiter auf Überreste des ehemaligen NS-Lagers gestoßen waren, untersuchen nun Archäologen das Areal im Wohnbezirk Liebenau.

Foto: Müller

Graz – Es war ein Zufall. Bauarbeiter hoben Erdreich aus, um Platz für eine Gasleitung zu schaffen, als sie Dienstagvormittag auf Mauerreste stießen. Für die herbeigeeilten Archäologen des Bundesdenkmalamtes war umgehend klar: Die Mauerteile gehören zum historisch wohl sensibelsten Areal von Graz.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis im Zuge der Bauarbeiten für das Murkraftwerk Überreste des NS-Lagers Liebenau zutage gefördert werden. Die jetzt offengelegten Lagerfundamente werden in den nächsten Tagen exakt dokumentiert und vermessen. "Wenn nötig, muss die Rohrverlegung neu angepasst werden", sagt Urs Harnik, Sprecher des Kraftwerksbauers Energie Steiermark.

Rainer Possert, ein Allgemeinmediziner im Bezirk Liebenau, drängt die Rathauspolitiker seit Jahren, endlich zu klären, ob tatsächlich unter der Erde dieses Viertels womöglich noch immer jüdische Opfer verscharrt sind.

Dessen ungeachtet soll aber genau auf diesem Areal, auf dem nun Mauerreste gefunden wurden, ein Wohnprojekt der Stadt hochgezogen werden. Possert, der umfangreiches historisches Material gesammelt hat, geht davon aus, dass die weiteren Grabungsarbeiten jedenfalls Erhellung bringen werden.

Todesmärsche

Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx hatte 2013 erstmals das NS-Lager Liebenau dokumentiert. Historisch gesichert ist, dass 7000 bis 8000 ungarische Juden am Ende des Krieges 1945 von Ungarn kommend hier in Liebenau haltgemacht hatten, ehe sie in Todesmärschen nach Mauthausen getrieben wurden. 1947 wurden 53 Mordopfer exhumiert. 1992 fanden Bauarbeiter auf dem Gelände dieses ehemaligen Lagers bei Grabungsarbeiten für den Keller eines Kindergartens Skelette. Nach einem kurzen Baustopp wurde die Fläche zubetoniert und der Kindergarten ohne Keller weitergebaut. Die Baudokumente sind im Magistrat verschwunden.

In der Energie Steiermark weiß man natürlich um die historische Brisanz des Gebietes: "Wir gehen allen Hinweisen nach. Die Sensibilität des Themas ist uns bewusst, daher haben wir zusätzlich ein Archäologenteam beauftragt, die Lage am Baustellengelände regelmäßig und auch schon bei geringen Verdachtsmomenten unter die Lupe zu nehmen", sagt Urs Harnik.

Während die Bagger nicht nur Raum für das geplante Murkraftwerk schaffen, sondern auch tief in das finsterste Kapitel der Stadt Graz graben, beschäftigt sich auch der Gemeinderat noch einmal in einer Sondergemeinderatssitzung mit dem Kraftwerk, das die politische Situation in Graz komplett verändert hat.

"Sachlich schon sehr weit"

Durch die Auseinandersetzung um das Kraftwerk steuert Graz schnurstracks auf eine schwarz-blaue Koalition zu. Der Streit hat alle anderen möglichen Koalitionen zerschlagen. "Wir sind sachlich schon sehr weit und können nächste Woche bekanntgeben, ob es eine ÖVP-FPÖ-Koalition geben wird oder nicht", sagte Thomas Rajakovics, der Sprecher von Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), dem STANDARD.

Eine der Konsequenzen wird wohl sein, dass die KPÖ ihr Wohnungsressort – die Basis ihres politischen Erfolges in Graz – an die FPÖ abgeben muss. Die FPÖ hat dies vehement von Nagl eingefordert. Die ÖVP hätte damit kein allzu großes Problem, da sich Nagl mit KPÖ-Chefin Elke Kahr wegen des Murkraftwerkes ohnehin völlig überworfen hat. Kahr hat als Bedingung für Gespräche mit Nagl eine Volksbefragung zum Kraftwerk verlangt, was dieser aber dezidiert abgelehnt hat.

Die von Bürgermeister Nagl favorisierte Koalition mit den Grünen und der SPÖ löste sich in Luft auf, nachdem die SPÖ aus dem Stadtsenat flog und auch die Grünen an ihrer ultimativen Forderung nach einer Volksbefragung zum Murkraftwerk festhielten. (Walter Müller, 1.3.2017)