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Quantenmechanische Verschränkung oder psychedelische Zustände? Wiener Studierende loten in einem Symposium die Bezüge zwischen Philosophie und Physik aus – inspiriert von einer Physikergruppe der Hippiegeneration, die der Quantenphysik in den 1970ern zum Durchbruch verhalf.

Foto: Picturedesk / Science Photo Library / Mark Garlick

Wien – Ein Unbehagen geht um in der Universität. Die Lehrpläne sind überfrachtet mit Rechenübungen und technischen Skills. Künftige Arbeitsplätze in Forschung und Industrie sind rar, und nur die Besten werden Karriere machen. Gut sind sie fast alle. Technisch gebildet und im Rechnen geschult, wie kaum eine Generation vor ihnen. Nur was berechnen sie überhaupt?

Die Rede ist hier von Physikstudierenden der 1970er-Jahre an der US-Westküste. Die Investitionen in die Physikausbildung während des Kalten Kriegs waren abgeebbt. Unter dem Druck, militärische Anwendungen hervorzubringen, war die technische Ausbildung in Curricula und Lehrbüchern forciert worden. Die Rede könnte aber vom heutigen Wien sein, wenn auch in weniger drastischer Ausprägung. Nicht der Krieg lastet auf den Schultern der Studierenden, sondern das verschulte Bologna-Universitätssystem. Dennoch: Auch hier gibt es eine Unzufriedenheit.

Fundamentales Unbehagen

"Es ist das Unbehagen", sagt Karl Milford, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien in Ruhestand, "dass fundamentale Fragen wie die nach den Qualitätsmerkmalen von Theorien wie zum Beispiel nach deren Erklärungskraft, oder Fragen nach der rationalen Auswahl zwischen Theorien, sowie Fragen nach dem wissenschaftlichen Fortschritt zu kurz kommen". Milford ist Vortragender bei einem Symposium, das von einer Gruppe Physikstudierender der Universität Wien organisiert wird und kommenden Freitag stattfindet. Unter dem Titel "Shut up and Contemplate" wollen die Studierenden in Vorträgen etablierter Professoren wie der Philosophin Elisabeth Nemeth oder der Physiker Caslav Brukner und Reinhold Bertlmann die philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaft ergründen. Denn: "Diese sind in aktuellen naturwissenschaftlichen Studien stark unterrepräsentiert", sagen die drei Hauptorganisatoren Flavio Del Santo, Thomas Zauner und Emanuel Schwarzhans.

Der Titel des Symposiums ist eine Anspielung auf ein geflügeltes Wort in der Physik, wenn es um fundamentale Fragen geht: "Shut up and calculate!" Während die Gründerväter der Quantentheorie wie Niels Bohr, Erwin Schrödinger oder Wolfgang Pauli sich auf der Suche nach der Realität der Natur auch der taoistischen Lehre, der indischen Veden oder der Psychoanalyse bedienten, war die Generation nach ihnen weit weniger offen.

LSD und Parapsychologie

Während des Zweiten Weltkriegs und danach standen Anwendungen und technische Perfektion in Lehre und Forschung weit mehr im Vordergrund. Das Credo "Shut up and calculate!" wurde erst von einer Gruppe von in Kalifornien ansässigen Physikern in den 1970er-Jahren gebrochen, die sich, mit prekären Beschäftigungsverhältnissen konfrontiert und vom Geiste der Hippie-Generation inspiriert, wieder den grundlegenden Fragen der Physik zuwandten – LSD-Trips und parapsychologische Erfahrungen inklusive.

Damit bereitete die Gruppe nicht zuletzt den Pfad für die modernen Anwendungen der Quantenphysik wie Quantencomputer, Quantenkryptografie oder Teleportation, wie der MIT-Wissenschaftshistoriker David Kaiser in seinem 2011 erschienenen Buch "How the Hippies saved Physics" unterhaltsam darlegte.

Alternative Lehre

Es darf wohl kaum verwundern, dass dieses Buch auch Del Santo und seine Kollegen bei der Vorbereitung ihres Symposiums begleitete. "Wir wollen den Studierenden mit dem Symposium bewusstmachen, dass eine alternative Praxis in der Forschung und Lehre möglich ist", sagt Zauner. An der gegenwärtigen Praxis in Forschung und Lehre in den Naturwissenschaften kritisieren die Studierenden einen "pragmatischen und instrumentalistischen Fokus, wodurch die Studienpläne immer mehr auf effiziente Leistung ausgerichtet werden". Dadurch fehle es an Zeit und Raum, den Kontext des eigenen Faches zu hinterfragen. "Der Instrumentalismus", kommentiert Milford, "gibt die Idee der Wahrheit als regulative Idee der Wahrheitssuche auf und ersetzt diese durch die pragmatische Idee der Nützlichkeit oder des Erfolges".

Warum es auch für ihn als Physikstudenten wichtig sei, den Zugang zu Geistes- und Sozialwissenschaften zu suchen, erklärt Del Santo: "Die Naturwissenschaften sind ein menschliches Konstrukt, sie werden durch unsere methodologischen Entscheidungen bedingt." So würde der gesellschaftliche Kontext beeinflussen, wie sich Forschung entwickelt. "Um diese Zusammenhänge zu erkennen und infrage stellen zu können, ist es notwendig, den Diskurs mit philosophischen und soziologischen Sichtweisen zu suchen." (Tanja Traxler, 2.3.2017)