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Im Frühjahr sprießen die Jobs und der Spargel. Letzterer wird oft von EU-Ausländern geerntet, heimische Landarbeiter sind nicht zu finden.

Foto: AP/Patrick Pleul

Spätestens seit dem Brexit ist die Niederlassungsfreiheit in der EU und in Österreich wieder ein Thema. Das jüngste Regierungsprogramm sieht vor, dass das österreichische Arbeitsmarktservice die Besetzung einer Stelle mit einem EU-Bürger erst prüfen und dann genehmigen muss. Nur wenn sich für die Stelle kein in Österreich gemeldeter und geeigneter Arbeitsloser findet (könnte zum Beispiel auch ein serbischer Staatsbürger sein), wäre demnach die Genehmigung zu erteilen.

An dem Vorschlag sind zwei Aspekte bemerkenswert: Erstens die dahinterliegende Sichtweise des (österreichischen) Arbeitsmarktes und zweitens die sich verstärkende Tendenz, durch Eingriffe in das EU-Sekundärrecht die Grundprinzipien der EU – wie die Personenfreizügigkeit – abzuschwächen. Ausgangspunkt des Vorschlags ist das starke Anwachsen des Arbeitsangebotes (über 150.000 Personen) aus EU-Mitgliedstaaten in Österreich seit 2010.

Stefan Schiman hat an dieser Stelle ("Ein Arbeiter ist kein Wiener Schnitzel") auf die Besonderheiten des Arbeitsmarktes hingewiesen. Seine Ausführungen sollen hier ergänzt werden. Die Sichtweise, dass zusätzliches Angebot am österreichischen Arbeitsmarkt "ankommt" und dann inländische Arbeitskräfte verdrängt und/oder den Lohnsatz drückt, ist ein zu oberflächliches Bild. Der Arbeitsmarkt ist durch kostspielige Suchprozesse gekennzeichnet (Christopher Pissarides / Nobelpreis 2010), an deren Ende im Idealfall ein Vertrag ("match") steht, bei dem die Erträge aus der Besetzung einer offenen Stelle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt werden, was den Lohnsatz bestimmt.

Die nach Österreich kommenden EU-Bürger werden teilweise direkt in ihren Herkunftsländern angeworben oder besetzen rasch eine offene Stelle. Das zusätzliche Angebot ist daher in gewissem Sinne von der Nachfrage (den nicht besetzten offenen Stellen) getrieben. Damit erklärt sich auch das Paradoxon steigender Arbeitslosigkeit bei relativ stark steigender Beschäftigung.

In der öffentlichen Debatte wird demgegenüber das Bild eines Arbeitsmarktes suggeriert, in dem sich die zusätzlichen Arbeitskräfte in das Heer der Arbeitslosen einreihen und von dort aus die inländischen Arbeitslosen im Lohnsatz unterbieten. Dieses falsche Bild führt zum Vorschlag ungeeigneter Maßnahmen. Ein besseres "matching" mit den im Inland gemeldeten Arbeitslosen würde aber wahrscheinlich gar nicht zu dem massiven Zuzug von Personen aus anderen EU-Mitgliedstaaten führen.

Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind in Summe möglicherweise teurer als die Finanzierung der Arbeitslosigkeit, aber in Teilbereichen wirkungsvoll. Empirische Studien belegen die Wirkung von Hartz I bis III (über die man wesentlich weniger hört als über das unselige Hartz IV), vor allem in der Phase eines anspringenden Arbeitsmarktes in Deutschland. Bei relativ hohem Beschäftigungswachstum in Österreich (seit 2010) wäre eine Verbesserung des "matching" somit auch hier besonders erfolgreich gewesen.

Die Einschränkung der Freizügigkeit durch nationalstaatliche Maßnahmen ist jedoch prinzipiell fraglich. Paul Schmidt hat an dieser Stelle ("Auch Österreich profitiert von der Freizügigkeit") schon gezeigt, dass die vier Grundfreiheiten ineinandergreifen und Österreich von Binnenmarkt plus Freizügigkeit ökonomisch profitiert hat. Aus EU-Gesamtsicht bringt höhere Mobilität der Arbeitskräfte – ähnlich wie ein europäischer "Finanzausgleich" – geringere ökonomische Folgekosten von Krisen wie jener nach 2008. Wäre die Mobilität in Europa noch höher, dann könnte die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa gesenkt und die Arbeitskräfteknappheit in manchen Bereichen in Nord- und Mitteleuropa entschärft werden.

Der Chor der EU-Feinde

In diese Richtung geht zum Beispiel der vom oben erwähnten und noch immer aktiven Peter Hartz ausgearbeitete Vorschlag "Europatriates" (http://www.europatriates.eu/), der Förderung vorübergehend hoher Mobilität mit aktiver Arbeitsmarktpolitik kombiniert. Nach allem, was die Ökonomen wissen, sind derartige Konzepte mit positiven Effekten für alle EU-Mitgliedsländer verbunden. Ein österreichisches Regierungsprogramm könnte derartige Konzepte aufnehmen und mit innovativen Vorschlägen einer gemeinsamen EU-Finanzierung verknüpfen und dafür in der Kommission werben. Offensichtlich geht man lieber den leichten Weg und stimmt in den Chor jener vielen ein, die die Niederlassungsfreiheit unterminieren wollen. (Kurt Kratena, 2.3.2017)