Barrierefreie Gebäude sind eine Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung. Aber auch entsprechende Betreuungsformen braucht es dafür.

Foto: Robert Newald

Wien – Jürgen Vanek hat ein Problem. Der 42-Jährige weiß nicht, wie er seine Assistenten weiter bezahlen soll. Vanek kam mit einer spastischen Lähmung zur Welt. Bis er 20 Jahre alt war, wohnte er bei seinen Eltern, danach elf Jahre in betreuten WGs. Dort missfiel ihm unter anderem, dass ihm beim Essen nur geholfen wurde, wenn Personal gerade Zeit hatte. Seit sechs Jahren lebt Vanek in Wien mit persönlicher Assistenz in einer eigenen Wohnung.

Allerdings verlange die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) nun, dass bisher als freie Dienstnehmer Beschäftigte angestellt werden. Die Summe, die Vanek für seine Betreuung vom Fonds Soziales Wien (FSW) erhält, blieb aber gleich. Daher würden weniger Stunden für Betreuung bleiben – wohl circa um ein Drittel.

All das schilderte Vanek mithilfe seines Assistenten am Donnerstag bei einer Pressekonferenz anlässlich der Tagung "Inklusion statt Institution?" in Wien, organisiert von der Interessenvertretung sozialer Dienstleistungsunternehmen (IVS).

Mehr barrierefreier Wohnraum

Behindertenanwalt Erwin Buchinger erinnerte dort daran, dass die von Österreich 2008 ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt, "dass Menschen mit Behinderungen selbstständig leben können" und Wohnort sowie Wohnform selbst wählen können sollen. Österreich sei "auf einem guten Weg", aber "noch ein Stück weit davon entfernt". Die persönliche Assistenz müsse ausgeweitet und mehr barrierefreier Wohnraum geschaffen werden.

"Noch wenig" persönliche Assistenz

Nach Recherchen von Wolfgang Waldmüller – im IVS-Vorstand und Geschäftsführer von Habit, einer Tochtergesellschaft des Haus der Barmherzigkeit – leben 11.334 Menschen mit Behinderung in institutioneller Unterbringung in sogenannter Vollbetreuung. Mit persönlicher Assistenz wie in Herrn Vaneks Fall leben "noch sehr wenige" . Behindertenbetreuung ist Ländersache: Relativ weit sei man in Wien, Oberösterreich und der Steiermark. Nachholbedarf sieht man im Burgenland, in Kärnten und Salzburg. Beispiel Wien: Das Land gab für vollbetreutes Wohnen 2015 gut 98 Millionen Euro aus, für persönliche Assistenz 12,7 Millionen.

Etwa 21 Prozent der "vollbetreuten" Menschen leben laut Waldmüller in Wohnhäusern mit über 100 Bewohnern. 1466 Personen mit Behinderung seien "fehlplatziert" in Altenheimen.

Institutionen hinterfragen ihre Rolle

Behindertenbetreuungsinstitutionen selbst müssten ihre Rolle hinterfragen, gibt Marion Ondricek, ebenfalls IVS-Vorstand und Geschäftsführerin des Vereins Balance, zu bedenken: "Wir müssen wegkommen von den Care-Modellen" und Betreuung "auf Augenhöhe mit den Betroffenen aushandeln". Entsprechende Rahmenbedingungen müsse aber die Politik herstellen.

Eine Harmonisierung der Leistungen für persönliche Assistenz, wie im Regierungsprogramm 2013 vorgesehen, ist aber nicht in Sicht. Bisherige Gespräche "liefen erfolglos", heißt es aus dem Sozialministerium. Länder würden "aufgrund angeblich zu hoher Kosten jede Initiative" verweigern.

FSW für erhöhtes Pflegegeld

Vom FSW heißt es in Hinblick auf das Problem, das nun nicht nur Herr Vanek hat, dass sich die Stadt "seit Jahren" beim Bund für eine Änderung des Pflegegeldgesetzes für Menschen mit Behinderung einsetze, um "Unterstützungsbedarf durch ein erhöhtes Pflegegeld abdecken können". Da der FSW die "KundInnen direkt fördert", könne er aber nicht automatisch die Förderungen erhöhen, "wenn sich die Rahmenbedingungen eines Dienstleisters ändern". (Gudrun Springer, 3.3.2017)