Wien – Als "Angriff auf Wien" bezeichnet die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou die von der Bundesregierung angekündigten Verschärfungen im Fremdenrecht, wonach abgelehnte Asylwerber aus der Grundversorgung fallen sollen. Das produziere Obdachlosigkeit. "Wir werden da nicht zusehen", sagt Vassilakou im Interview mit dem STANDARD. "Menschen, die Unterstützung brauchen, werden in Wien versorgt. Lange kann dieses Spiel aber nicht weitergehen."Beim in der rot-grünen Stadtregierung heftig umstrittenen Thema Lobautunnel spricht sich Vassilakou gegen den Autobahnring um Wien aus. Den Nationalpark solle weder ein Tunnel noch eine Brücke queren, sagt die Verkehrsstadträtin.

STANDARD: Der Bund plant weitere Verschärfungen im Fremdenrecht. Abgelehnte Asylwerber sollen aus der Grundversorgung fallen. Wird Wien diese finanziell auffangen?

Vassilakou: Was Teile der Bundesregierung betreiben, ist ein vorsätzlicher Angriff auf Wien. Es ist ein zynisches Machtspiel. Offenbar hat die ÖVP beschlossen, alles zu unternehmen, um Wien so viele Probleme wie möglich umzuhängen. Sowohl die Verschärfungen im Fremdenrecht als auch der Angriff auf die Mindestsicherung produzieren Obdachlosigkeit. Wir werden da nicht zusehen. Menschen, die Unterstützung brauchen, werden in Wien versorgt. Lange kann dieses Spiel aber nicht weitergehen.

STANDARD: Für Wien sind das dann deutliche Mehrkosten – zusätzlich zu den 700 Millionen Euro heuer für die Mindestsicherung.

Vassilakou: Klar gibt es Mehrkosten. Die gibt es aber auch, weil andere Bundesländer die Versorgung für Flüchtlinge kürzen. Mit voller Absicht, damit diese nach Wien ziehen.

STANDARD: Wieso sprechen Sie sich dann bei der Mindestsicherung gegen eine Wartefrist für neu Zugezogene aus?

Vassilakou: Das Problem damit ist, dass sich sehr viele Menschen nicht daran halten. Zum Beispiel, weil sie Verwandte oder Community-Mitglieder in der Stadt haben und so besser integriert werden können als etwa auf dem Land, wo sie niemanden kennen. Dass es keine bundesweite Lösung gibt, ist nicht nur ein finanzielles Problem für Wien. Es ist ein Angriff auf den Sozialstaat. Der Verdienst der ÖVP im Vorjahr war es, mit der Mindestsicherung eine zentrale soziale Errungenschaft der Republik in die Luft zu sprengen.

Eine Einigung zur Reform der Mindestsicherung in Wien braucht laut Vassilakou noch Zeit.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Mit der Situation muss Wien umgehen. Fast zwei Drittel aller Mindestsicherungsbezieher in Österreich leben bereits in Wien.

Vassilakou: Wir lassen niemanden draußen in der Kälte schlafen. Das werden wir tun, solange wir können.

STANDARD: Muss Wien dafür in anderen Bereichen sparen?

Vassilakou: Ich werde keine Diskussion darüber führen, was es bedeutet, wenn sich die Situation in den nächsten Jahren nicht ändert. Ich setze darauf, dass die ÖVP bei der nächsten Wahl im Bund die Rechnung für diese Politik präsentiert bekommt.

STANDARD: Wann gibt es Ergebnisse zur von SPÖ und Grünen seit Monaten verhandelten Mindestsicherungsreform?

Vassilakou: Das braucht seine Zeit. Wir müssen vernünftig mit finanziellen Mitteln umgehen und dennoch Menschen in Notsituationen das geben, was sie brauchen, um anständig leben zu können. Qualität geht vor Geschwindigkeit.

STANDARD: Ein weiterer Streitpunkt ist der Lobautunnel. Wird er kommen, wie Bürgermeister Michael Häupl gesagt hat?

Vassilakou: Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist beim Verwaltungsgericht anhängig. Die Entscheidung des Gerichts betreffend dritter Piste am Flughafen Wien-Schwechat hat allen gelehrt, dass es klüger ist, erst einmal abzuwarten, wie das Gericht entscheidet.

STANDARD: Sie wollten schon im Herbst Alternativen präsentieren. Warum haben Sie das nicht getan?

Vassilakou: Wir haben Experten beauftragt, Szenarien zu prüfen. Ich rechne in den nächsten Monaten mit einem Ergebnis.

Vassilakou zum Streitthema Lobautunnel: "Eine Querung durch den Nationalpark ist keineswegs auch nur annähernd mit dem Naturschutz vereinbar. Wenn das für einen Tunnel gilt, gilt das noch mehr für eine Brücke."
Foto: Andy Urban

STANDARD: Sie sind in den Wahlkampf gegangen mit den Worten, dass es mit den Grünen keinen Lobautunnel geben wird.

Vassilakou: Die Grünen und auch ich haben die unveränderte Haltung, dass ein Autobahntunnel durch den Nationalpark nicht vertretbar ist. Wir haben mit der SPÖ vereinbart, Experten zu beauftragen, um eine verhärtete Debatte zu versachlichen.

STANDARD: Vereinfacht gesagt gibt es nur zwei Möglichkeiten: einen Tunnel unter der Donau oder eine Brücke über die Donau.

Vassilakou: Oder nichts.

STANDARD: Dann ist also eine Möglichkeit, dass es keinen Autobahnring um Wien gibt?

Vassilakou: Es gibt das, was Sie gesagt haben – und die Möglichkeit, dass es nichts von beiden gibt.

STANDARD: Was ist Ihre Präferenz?

Vassilakou: Eine Querung durch den Nationalpark ist keineswegs auch nur annähernd mit dem Naturschutz vereinbar. Wenn das für einen Tunnel gilt, gilt das noch mehr für eine Brücke.

STANDARD: Auf den Steinhofgründen wurden kürzlich fast 100 Bäume gefällt. 160 Wohnungen sollen entstehen. Warum hat die Stadt ein in Auftrag gegebenes Nachnutzungskonzept für das gesamte Areal nicht abgewartet?

Vassilakou: Für das Gesamtareal des Otto-Wagner-Spitals hat der Gemeinderat 2006 eine Widmung beschlossen, die im Osten 600 Wohnungen ermöglicht hätte. Wir Grüne konnten mittels Mediationsverfahren die Reduzierung auf 160 erreichen und die Verbauungspotenziale im restlichen Areal zur Gänze streichen.

STANDARD: Warum wird das Nachnutzungskonzept für das Areal inklusive Pavillons nicht veröffentlicht, das bereits vorliegt?

Vassilakou: Mir ist kein Nachnutzungskonzept präsentiert worden. Die Studie, die mir vorliegt, ist kein Konzept.

STANDARD: Warum nicht?

Vassilakou: Es ist ein Bericht, der Kostenkalkulationen enthält, was vermeintlich zu investieren ist, damit das Areal überhaupt nachgenutzt werden kann.

STANDARD: Zuletzt haben sich 400 Architekten, Künstler und Stadtplaner gegen den 66-Meter-Luxuswohnturm am Heumarkt ausgesprochen. Wird dieser trotzdem wie geplant kommen?

Vassilakou: Ich stehe zum vorliegenden Entwurf. Er sichert allem voran die Existenz des Eislaufvereins ab. Und der Turm ist nur sechs Stockwerke höher als der jetzige Bestand.

STANDARD: Die Höhe wird von der Unesco kritisiert. Sie drohen mit der Aberkennung des Weltkulturerbes. Könnten Sie damit leben?

Vassilakou: Wir werden unser Möglichstes tun, das abzuwenden. Wir haben uns bewegt und die Höhe des Turms reduziert. Nun liegt es an der anderen Seite, sich zu bewegen. Wir haben die Hand gereicht.

Vassilakou zur möglichen Aberkennung des Unesco-Weltkulturerbes: "Es ist Zeit, eine Diskussion darüber zu führen, was unser kulturelles Erbe ist. Es ist nicht allein der Blick von oben auf die Stadt und ihre Gebäude, sondern das Leben zwischen ihnen."

STANDARD: Was machen Sie, wenn die Unesco bei Ihren Forderungen bleibt?

Vassilakou: Es ist Zeit, eine Diskussion darüber zu führen, was unser kulturelles Erbe ist. Es ist nicht allein der Blick von oben auf die Stadt und ihre Gebäude, sondern das Leben zwischen ihnen.

STANDARD: Die Grünen fordern Umweltzonen in Wien. Wie sollen diese konkret aussehen?Vassilakou: Ich habe eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um ein Modell zu erhalten, das auf Wien zugeschnitten ist. Wo und wie genau und auch wann kann erst diskutiert werden, wenn die Ergebnisse der Studie vorliegen. Im Fokus sind vor allem alte Diesel-Fahrzeuge.

STANDARD: Die SPÖ hat auf den Vorschlag eher ablehnend reagiert. Braucht man die Studie, wenn der Koalitionspartner nicht mit will?

Vassilakou: Manche waren ablehnend, ja. Der Bürgermeister hat aber gesagt, man kann darüber diskutieren. Debatten führt man nicht anhand von vorgefassten Meinungen, sondern anhand von Zahlen und Fakten. Wir haben in diesem Jahr bereits 19 Überschreitungen des Feinstaubgrenzwertes gehabt.

STANDARD: Das könnte auch Wettersituationen geschuldet sein. Seit 2000 ist die Feinstaubbelastung in Wien zurückgegangen.

Vassilakou: Wir hatten zunächst Erfolge, daher waren Umweltzonen bisher kein Thema. Aber wir können uns jetzt nicht auf das Wetter hinausreden. Tausende Kinder, die in Wien aufwachsen, haben ein Recht auf Stadtluft, die nicht krank macht. Alte, schmutzige Dieselautos müssen ausgetauscht werden.

STANDARD: Könnten die Umweltzonen bereits 2018 eingeführt werden, wie Ihr Umweltsprecher angekündigt hat?

Vassilakou: Es wäre realistisch. Aber es müsste auch eine vernünftige Umstellungsphase für die Bevölkerung geben.

STANDARD: Wien hat keinen Busterminal, der internationalen Standards gerecht wird. Sie haben 2014 einen in Aussicht gestellt.

Vassilakou: Wir haben die Auswahl auf drei Standorte eingegrenzt hat: Verteilerkreis Favoriten, Erdberg, Leopoldstadt Handelskai. Jetzt muss ein Konsens auf Bezirksebene hergestellt werden. Das dauert. Man braucht nicht besonders viel Fantasie, um sich auszurechnen, dass sich die Begeisterung für einen Busbahnhof in Grenzen hält. Die Alternative sind Busse, die weiterhin hunderte Passagiere überall in der Stadt am Gehsteig aussteigen lassen.

STANDARD: Mit welchen Kosten wird gerechnet? Ist ein PPP-Modell angedacht?

Vassilakou: Eine Kooperation mit Busunternehmen wird klug sein. Aus heutiger Sicht kann ich nicht seriös beantworten, wie hoch die Kosten sein werden. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 4.3.2017)