"The mumbling fish": im Vordergrund Philipp Gehmacher.

Foto: Eri Grünzweil

Wien – Zurück in die Zukunft heißt es gerade im zeitgenössischen europäischen Tanz. Denn Choreografinnen und Tänzer wollen sich aus der Geiselhaft des Ewiggegenwärtigen samt kleinkarierter Zwangsjugendlichkeit befreien, ohne auf faden Retrowellen surfen zu müssen. Wien ist da keine Ausnahme. Daher haben zur Eröffnung des vom Brut-Theater veranstalteten Imagetanz-Festivals acht Wiener Tanzschaffende unter dem Titel The Inheritance gezeigt, was sie unter einer solchen Befreiung verstehen.

Seine Einladungen dafür hat Imagetanz-Kurator Jacopo Lanteri mit Blick für die Wirklichkeit ausgesprochen. So bildeten immigrationsösterreichische Künstler bei dem in der Kunsthalle am Karlsplatz – leider nur einmal – gezeigten Programm die knappe Mehrheit: Superamas, Anne Juren und Alix Eynaudi aus Frankreich, Krõõt Juurak aus Estland und Daniel Aschwanden aus der Schweiz gehören genauso zur lokalen Szene wie die Geburtsösterreicher Philipp Gehmacher, Christine Gaigg und Doris Uhlich.

Realistisch war auch deren Ironie gegenüber der Pathosformel "Erbe". Denn Tanz ist so direkt an jene Körper gebunden, die ihn umsetzen, dass jede "originalgetreue" Weitergabe unmöglich bleibt. Das gilt sogar für die Autoren selbst: Philipp Gehmacher könnte etwa sein Solo the mumbling fish von 1997 jetzt, zwei Jahrzehnte später, nicht so wiedergeben, wie er es damals getanzt hat. Das wissen die Tänzerinnen und Tänzer heute. Ihnen ist klar, dass diese Unwiederbringlichkeit entweder im lange üblich gewesenen naiven So-tun-als-ob der "Rekonstruktion" endet oder aber neue künstlerische Möglichkeiten öffnet.

Erfrischend heterogen

Mit Letzteren arbeiteten bereits die konzeptuellen Choreografen der 1990er: Jérôme Bel, der ein Solo der Ausdruckstänzerin Susanne Linke in eine seiner Arbeiten integrierte, das Kollektiv Le Quatuor Albrecht Knust, das die große Yvonne Rainer aus der Versenkung holte, oder Martin Nachbar, der Soli von Dore Hoyer (1911-1967) wiedererarbeitete. Ohne diese Voraussetzungen hätte The Inheritance nicht stattfinden können.

Die einzelnen Arbeiten erwiesen sich als erfrischend heterogen. Die berührendste war Doris Uhlichs Rückblick auf ihr wunderbares Stück und aus dem Jahr 2007, in dem sie mit reiferen und älteren Personen gearbeitet hatte. Zusammen mit einer dieser Darstellerinnen, Susanna Peterka, trat nun die Choreografin Dorothea Zeyringer auf. Uhlich, die mit ihren sensiblen frühen Arbeiten bekannt wurde, hat ihre Qualitäten von damals aber komplett über Bord geworfen.

Sinnieren über Erinnerungslücken

Auf die im The-Inheritance-Konzept vorgesehene Weitergabe historischer Werke an jüngere Künstlerinnen ließ sich Krõõt Juurak – Zitat: "Ich würde meine Arbeit nur an Ältere oder Fortgeschrittenere weitergeben" – nicht ein. Ihre Presentation von Zitaten aus dem eigenen Werk hat zudem einen Witz, den nur sie allein verkörpern kann. Im Vergleich eher humorig war die Zusammenarbeit von Daniel Aschwanden mit Gerald Straub, die über Erinnerungslücken sinnierten.

Philipp Gehmacher und Christine Gaigg hatten Simon Mayer als "Erben" eingesetzt. Mit Gehmacher auf der Bühne zeigte dieser unvermutete Qualitäten. Gaiggs Duett The Time Falling Bodies Take to Light dagegen reduzierte er auf dessen erotische Reize. Mit einem sehr leer wirkenden Spiegelgegenüber bot Anne Juren ihr extrem feines konzeptuelles Solo Question A? (2003) an. Vielleicht hat sie ihre "Erbin" Sara Lanner da überfordert. The Inheritance war ein Wechselbad, insgesamt aber ein echter Erfolg. (Helmut Ploebst, 6.3.2017)