Wie sich der Brexit auf die Hochschulen auswirkt, ist noch unklar. Studierende sorgen vor und suchen nach Alternativen.

Foto: APA/AFP/Justin Tallis

London/Wien – Katastrophe, Disaster, absolutes Chaos: Wenn es darum geht, was der Brexit für die britische Hochschullandschaft bedeutet, dann sind sich Professoren, Rektoren und Studierende einig. Dass es so kommen würde, haben die meisten von ihnen versucht zu verhindern. Und die Kommentare in den britischen Medien lassen vermuten:Der Schock über das Ergebnis ist nach wie vor nicht überwunden.

Das heißt natürlich nicht, dass es keine Forderungen und Reaktionen gibt. Immerhin steht viel auf dem Spiel:Die Unis befürchten vielerlei finanzielle Einbußen. Einerseits, weil wahrscheinlich weniger EU-Bürgerinnen und Bürger für ihr Studium nach Großbritannien kommen werden. Bislang zahlen sie die gleichen Gebühren wie die Briten, künftig werden sie tiefer in die Tasche greifen müssen, denn dann gelten auch sie als "Overseas"-Studierende, die teilweise das Dreifache bezahlen. Und natürlich sind da auch die Sorgen über geringere Forschungsgelder – laut dem Wissenschaftsmagazin Nature haben britische Universitäten seit 2014 rund 1,4 Milliarden Euro aus EU-Töpfen erhalten, das sind rund 16 Prozent des britischen Uni-Budgets. Natürlich kommen zu den finanziellen, auch noch die menschlichen und intellektuellen Kosten: An rund 40 Prozent der EU-Forschung sind britische Forschungseinrichtungen beteiligt. Dazu kommen mehr als 30.000 Forscher vom europäischen Kontinent, die auf der Insel arbeiten.

Viele Fragezeichen

Neu ist all das nicht – diese Berechnungen wurden bereits während der intensiven Kampagnenmonate von Universitäten und Forschernetzwerken mahnend veröffentlicht. Wie die Kooperation mit dem Europäischen Forschungsrat aussehen wird, ob Assoziationsabkommen ähnlich der Schweiz, Israel oder Norwegen abgeschlossen werden, ob EU-Studierende weiterhin weniger Gebühren zahlen, wie sich Großbritannien am Erasmus-Programm beteiligen kann, bleibt weiterhin unklar. Leszek Borysiewicz, Professor und Vize-Präsident von Cambridge, stellt in der britischen Zeitung Guardian klar:"Wir wissen noch immer nicht, was der Brexit bedeuten wird."

Nicht nur er fordert von der Regierung klare Ansagen. Regelmäßig melden sich Hochschulvertreter in Medien zu Wort, beschweren sich über die schlechte Kommunikation zwischen den Ministerien. Borysiewicz spricht eine weitere Folge an, den Imageverlust:Seine Eltern seien während des Zweiten Weltkrieges nach Großbritannien gekommen. Großbritannien müsse weiterhin ein offenes, tolerantes Land bleiben.

Bereits weniger Anmeldungen

Erste Umfragen zeigen bereits andere Meinungen: Studierende, die ihren zuerkannten Platz in Cambridge ablehnten, taten dies laut eigenen Angaben großteils wegen Ressentiments gegenüber Immigranten. Obwohl EU-Studierende nach wie vor die gleichen Gebühren wie Briten bezahlen und Anspruch auf Studentenkredite haben, sind die Anmeldezahlen bereits zurückgegangen.

Auch die Hochschulen geben sich nicht mit Abwarten zufrieden und verhandeln mit ihren europäischen Partnern mögliche Lösungen. Für Schlagzeilen sorgte unlängst die Meldung, dass Oxford einen extraterritorialen Campus in Paris eröffnen könnte – nach französischem Universitätsrecht und damit Teil des EU-Hochschulsystems mit entsprechendem Zugang zu Förderprogrammen. Beide Seiten bestätigen Gespräche. Auch andere europäische Länder reagieren:Aus Deutschland kämen viele gute Angebote für Forscher an britischen Unis. Besonders im Bereich Mathematik würden die Deutschen versuchen, den Talentepool anzuzapfen, warnt eine Cambridge-Professorin im Guardian.

Ansuchen um EU-Pass

Seit dem Sommer haben außerdem bereits 60.000 Briten in der Republik Irland um einen EU-Pass angesucht. Wurde ein Eltern- oder Großelternteil dort geboren, ist dies möglich. Besonders unter Studierenden sei diese Möglichkeit beliebt. Junge Briten sind mit EU-Pässen aufgewachsen. Sie wollen weiter problemlos in die EU Reisen, studieren, arbeiten.

Wie sehr die Gefühle hochkochen, lässt sich auch am Kommentar von Dominic Shellard, Vize-Präsident der De Montfort University, Leicester ablesen:Der Künstler David Shrigley, ein Alumnus der De Montfort, hat vor kurzem eine Skulptur in Form eines "Thumbs-up" am Londoner Trafalgar Square enthüllt – unter den neuen Bedingungen würden die Unis der Regierung bald einen anderen Finger zeigen, so Shellard. (Lara Hagen, 9.3.2017)