Keine Lust darauf, missionarisch zu sein: Die feministische Filmemacherin Helke Sander war fünfzig Jahre lang in der neuen deutschen Frauenbewegung aktiv. Im Jänner feierte sie ihren 80. Geburtstag.

Foto: Regine Hendrich

"Subjektitüde" von Helke Sander aus dem Jahr 1967.

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"Redupers" von 1977.

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Helke Sander, "Die Entstehung der Geschlechterhierarchie". € 26,90 / 216 Seiten, Verlag Zukunft & Gesellschaft 2017.

Foto: Zukunft & Gesellschaft

STANDARD: In Ihrer berühmten Rede bei der Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes 1968 sagten Sie, dass Frauen und Kinder in den Mittelpunkt gestellt werden müssen, wenn man eine gesellschaftliche Veränderung haben möchte. Was wäre Ihre Forderung heute?

Sander: Ich habe fünfzig Jahre lang die Forderungen der Frauenbewegung mitgetragen. In meinen Filmen habe ich vieles davon reflektiert. Heute fordere ich nichts mehr, sondern ich schaue mir an, was andere fordern – und wundere mich, wie lange es dauert, bis etwas von dem umgesetzt wird, was wir damals verlangt haben.

STANDARD: Als Regisseurin verhandeln Sie Kernthemen der Frauenbewegung. Wie viel Raum nimmt Politik in Ihrem Filmschaffen ein?

Sander: Wenn ich Filme mache, denke ich nicht an Politik. Das steht nicht im Vordergrund. Ich mache Filme politisch, aber ich mache keine politischen Filme.

STANDARD: Was entgegnen Sie Frauen, die das Privileg haben, nicht mit Ungleichheit konfrontiert zu sein, und Feminismus für obsolet halten?

Sander: Diese Frauen, die sagen, dass sie keine Feministinnen sind, habe ich in einem Film aufgegriffen. Ich will nicht missionarisch auftreten, aber bei einiger Intelligenz muss man Feministin sein. Die Bedingungen für Frauen weltweit sind einfach zu furchtbar.

STANDARD: Am heutigen Frauentag rufen Frauen zum internationalen Frauenstreik auf. Was können solche Aktionen bewirken?

Sander: Wenn es an konkrete Forderungen geknüpft ist, kann das sicher etwas bewirken. Ich fand den Women's March sehr eindrucksvoll. Das muss jetzt weitergehen. Natürlich hat das meine Sympathien, aber ich gehe nicht mehr auf Demos. Ich habe das nie gerne gemacht. Jetzt habe ich einen Grund: Ich bin zu alt.

STANDARD: Sehen Sie gegenwärtig die Gefahr, dass feministische Errungenschaften wieder zurückgenommen werden?

Sander: Niemand darf sich darauf verlassen, dass einmal Erreichtes immer da ist. Das merken wir gerade an allen Ecken und Enden.

STANDARD: So nimmt etwa die Antiabtreibungsbewegung wieder Fahrt auf. Was dem entgegnen?

Sander: Es gibt Widerstand und Initiativen, die sich dagegen formieren und wehren. Die jungen Frauen werden neue Formen finden, andere als früher. Das ist ein wichtiges Thema.

STANDARD: Frauenstreik, Women's March, #czarnyprotest: Sehen Sie neben dem Backlash auch Anzeichen für eine neue feministische Massenbewegung?

Sander: Das hängt von vielen Faktoren ab. Die meisten Revolutionen sind hinterher gescheitert. Wir hatten uns den Feminismus nie so vorgestellt, dass er in einer Bürokratie mit langweiligen Frauenbeauftragten endet. Letztlich sorgen diese Einrichtungen dafür, dass sich Bedingungen für Frauen verbessern. Auch wenn es keine Höhepunkte des Aufbruchs sind.

STANDARD: Und der Frauentag?

Sander: Das Gute daran ist, dass er zum Anlass genommen wird, dass auch Mainstream-Medien über Frauenpolitisches schreiben und die Lebensrealitäten von Frauen thematisieren.

STANDARD:Feminismus meint ja das gute Leben für Frauen und Männer. Warum gelingt es so selten, Männer ins Boot zu holen?

Sander: Wir haben immer versucht, gesamtgesellschaftlich zu denken. Es ging nie nur um sogenannte Frauenthemen. Ich habe einmal einen Film über Hanne-lore Mabry gemacht, die in den 1970er-Jahren die Zeitschrift Der Feminist herausgab. Der Feminismus ist eine politische Bewegung, und daran können alle Geschlechter teilhaben. Aber das hat sich bis jetzt nicht etabliert.

STANDARD: Was halten Sie von symbolpolitischen Maßnahmen wie dem Binnen-I?

Sander: Ich schreibe manchmal das Binnen-I und versuche allgemeine Beschreibungen für beide Geschlechter zu finden. Aber ich halte nichts von diesen Zankereien, ob da nun ein Sternchen hin soll oder nicht. (Christine Tragler, 8.3.2017)