Kein Zweifel: Es ist ein Bleistiftrock, und das im wörtlichen Sinne. Der schmale, kurz über dem Knie endende Rock, den die englische Modedesignerin Mary Katrantzou im Februar 2012 über ihren Laufsteg schickte, war über und über mit kanariengelbfarbenen Bleistiften bestückt. Ein Gag – wäre da nicht die vorzügliche Verarbeitung, die perfekt aufeinander abgestimmten Farben und der coole, zeitgemäße Look.

In der Ausstellung im Wiener Winterpalais steht das Ensemble neben einem Kleid von Hussein Chalayan, auf das hunderte Acrylnägel gepappt wurden, und mehreren grellbunten Outfits des Moderabauken Jeremy Scott, mit aufgedruckten Comicgesichtern und reißerischen Schriftzügen.

Eine Geschmacksverwirrung? Die Auslotung dessen, was als schön angesehen wird, war der Mode schon immer eigen.
Foto: SimonArmstrong.com

Ein Schlachtfeld des Geschmacks

Mode als Spaßmaschine. Keine Verrenkung der Populärkultur, die von der Fashionwelt nicht begierig aufgegriffen wurde und wird.

Im Winterpalais dienen diese Beispiele aber weniger dem Amüsement als einer von Literaturtheorie und Psychoanalyse genährten Beweisführung: Die Mode, so die These, war schon immer ein Schlachtfeld des Geschmacks. Oder um es in den Worten der Kuratoren, der Modetheoretikerin Jane Alison und ihres Mannes, des Psychoanalytikers Adam Phillips, zu sagen: "Das Wort 'vulgär' wird eingesetzt, um die Grenzen des guten Geschmacks zu überwachen." Was als schön angesehen wird, darüber wird in der Mode ein immer wieder neu angefachter Kampf geführt.

Jeremy Scott für Moschino, Herbst, Winter 2014/15
Foto: Moschino

Das Zauberwort dabei ist "vulgär". Der Begriff bezeichnete im Englischen ursprünglich "das gemeine Volk", im Laufe der Zeit erfuhr er aber eine stark negative Aufladung. Trotz der bis heute unterschiedlichen Bedeutungen im Englischen und Deutschen wird es in beiden Sprachräumen als Abgrenzung und zur Abhebung gebraucht: Vulgär sind immer die anderen. Ihre Sprachweise, ihr Benehmen oder eben die Kleider, die sie anziehen. Zu bunt, zu freizügig, zu verspielt, zu extrem, zu selbstdarstellerisch, zu barock, sind nur einige der Verdikte, die die Paradiesvögel über die Jahrhunderte getroffen haben. In den hochbarocken Räumlichkeiten von Prinz Eugens Winterpalais dienen eben jene als Wegmarken auf dem Parcours durch die Modegeschichte.

Der Fokus liegt dabei auf der Gegenwart bzw. den letzten beiden Jahrzehnten, in denen so unterschiedliche Modemacher wie John Galliano oder Miuccia Prada ihre Sicht auf die Gegenwart in Kleider übersetzt haben. Der eine in Form exzessiver, in einem permanenten Dialog mit der Modegeschichte stehenden Kreationen, die andere in Form radikaler Umdeutungen von dem, was gemeinhin als begehrenswert gesehen wird. Vor allem Prada mit ihrem intellektuellen, vor keinem Tabubruch zurückschreckenden Zugriff kann dabei als prototypische Vertreterin der Ausstellung gesehen werden.

Grenzüberschreitung

Ihre popkulturellen Kleider mit den nach außen getragenen Brokat-BHs, ihr Spiel mit dem Ornament (bei Prada) oder dem Werkstoff Jeans (bei Miu Miu) verdeutlichen sehr plastisch die permanenten Grenzüberschreitungen, die dem Spiel der Mode eigen sind. Aber auch andere starke Stücke finden sich in der Ausstellung: obligatorisch natürlich die Dekonstruktionen eines Martin Margiela, die theatralen Gedankenspiele von Viktor & Rolf oder die Tabuverletzungen einer Vivienne Westwood. Um so erstaunlicher, dass die konzeptionellen Ansätze der jüngeren japanischen Mode (bis auf das Label Undercover) gänzlich fehlen.

Ausstellungsansicht The Vulgar: Fashion Redefined, Barbican Centre, 2016.
Foto: Belvedere, Wien

Wettgemacht wird dies durch die starke Präsenz noch nicht kanonisierter Designer wie Gareth Pugh oder der eingangs erwähnten Mary Katrantzou. Sie verdeutlichen die Stärke dieser Ausstellung (die Integration aktueller Positionen), aber auch ihre Schwäche. Fraglich erscheint nämlich, ob der Kampfbegriff "vulgär" auch für die heutigen Distinktionsspiele der Mode taugt oder ob er nur dann seine Wirkung entfalten kann, wenn – wie meist in der Vergangenheit – Körperbilder etabliert, Tabus festgeschrieben und Geschmacksstandards kanonisiert waren.

Mondrian-Kleider von Yves Saint Laurent.
Foto: Christian Wind/ Belvedere, Wien, 2017

Brave Aufbereitung

Heute ist die Mode ein vielgestaltiges, auf keinen kleinsten Nenner zu bringendes Betätigungsfeld für Hedonisten, in dem fast alles schon einmal durchdekliniert wurde. Die Götter sind gefallen, jüngere Modemacher bedienen sich munter und ohne Scheu an allem, was ihnen unter die Finger kommt. Der Begriff "vulgär" scheint seine Sprengkraft verloren zu haben. Als eine Möglichkeit zur Kartierung der Modegeschichte ist er aber reizvoll, wie auch die im Katalog abgedruckten (aber zum Teil schlecht übersetzten) Ausführungen verdeutlichen.

Haute Couture von Dior (by John Galliano). 2003
Foto: Belvedere, Wien

Und so kommen in dieser, vom London Barbican Centre übernommenen Schau sowohl jene auf ihre Kosten, die sich an tollen Kreationen weiden wollen, als auch jene, die eine intellektuelle Herausforderung suchen. Mit der semiotischen Perspektive der Ausstellung hat auch die brave Aufmachung im Winterpalais zu tun: Statt die Kleider (multimedial) zu inszenieren, wie dies international üblich ist, begnügt man sich mit einer recht herkömmlichen Aufbereitung. Ob dies in einer Stadt, in der skandalös selten Modeausstellungen gezeigt werden, das Publikum begeistern kann, ist fraglich. Immerhin hat es mit "Vulgär?" aber eine Ausstellung nach Wien geschafft, die eine angewandte Kunstform ins Rampenlicht stellt, die hierzulande museal unterbelichtet ist. (Stephan Hilpold, RONDO, 13.3.2017)

Ausstellungsansicht: Vulgär? Fashion Redefined.
Foto: Belvedere, Wien, 2017
Ausstellungsansicht: Vulgär? Fashion Redefined.
Foto: Belvedere, Wien, 2017
Ausstellungsansicht: Vulgär? Fashion Redefined.
Foto: Belvedere, Wien, 2017

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