Am 15. März wählen die Niederlande die Zweite Kammer ihres Parlaments. Der ohnehin stark zersplitterten Parteienlandschaft steht Umfragen zufolge eine weitere Nivellierung bevor, die nicht nur das Ende der Koalition aus Rechtsliberalen und Sozialdemokraten bedeuten, sondern auch die ungewöhnliche Situation einer Mehrheit zweier Parteien beenden würde.

Die seit Jahrzehnten existierende starke Fragmentierung der politischen Landschaft in den Niederlanden ist durch das Fehlen einer Sperrklausel für den Einzug ins Parlament bedingt. De facto gibt es eine Hürde von 0,67 Prozent der Stimmen – das entspricht einem Hundertfünfzigstel und damit einem der 150 Sitze in der Zweiten Kammer. Bei der letzten Parlamentswahl 2012 schafften es elf Parteien, diese zu überwinden.

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Die niederländische Wählerschaft ist sehr unstet, Halbierung oder Verdopplung des Stimmenanteils auch großer Parteien ist keine Seltenheit. Die traditionellen Blöcke sind gespalten und haben mit einer großen Gegnerschaft im eigenen Lager zu kämpfen.

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Niederländische Parteiführer in der Redaktion der Tageszeitung "De Telegraaf".
Foto: Peter Dejong

Thematisch wird der Wahlkampf von der Position der Niederlande in der EU, dem Umgang mit Zuwanderern aus muslimisch geprägten Ländern und vor allem dem Schlagwort von der sozialen Gerechtigkeit dominiert. Die Wirtschaft ist zwar wieder auf Kurs, dies erreichte die Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte jedoch mit einer Reihe empfindlicher Sozialkürzungen. Viele Menschen arbeiten in prekären Verhältnissen und wünschen sich abgeschaffte soziale Absicherungen zurück.

Dass die Parteien das Farbspektrum nicht gerade ausreizen, macht es für die niederländischen Wählerinnen und Wähler nicht einfacher, ihre politische Landschaft zu durchblicken. Neun der elf im Parlament vertretenen Fraktionen tragen die Farbe Blau, Rot oder Grün beziehungsweise eine Kombination daraus.

Am 15. März treten nicht weniger als 28 Fraktionen an. Hier stellen wir Ihnen die wichtigsten mit ihren Parteiführern vor.


Der Etablierte

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Mark Rutte (rechts) will seine Liberalen an erster Stelle halten.
Foto: Peter Dejong

Ministerpräsident Mark Rutte tritt für seine Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) an, einer rechtsliberalen, proeuropäischen Partei mit Fokus auf freier Marktwirtschaft, die derzeit stärkste Kraft ist.

Rutte bemüht sich, das Image des coolen, optimistischen Leistungsträgers zu propagieren und dem Rechtspopulisten Geert Wilders mit "aktiver Verteidigung unserer Werte" gegenüber Ausländern Paroli zu bieten. Der "schwache Aufguss eines Populisten", wie ihn der sozialdemokratische Spitzenkandidat Lodewijk Asscher nennt, forderte in einem offenen Brief dazu auf, sich in den Niederlanden "normal zu verhalten oder zu gehen". In den letzten Wochen vor der Wahl setzt er auf das Thema sozialer Zusammenhalt, das dem Liberalen Spott von der linken Seite einbringt.

Umfragen sehen die VVD, die derzeit 26,8 Prozent der Stimmen hält, auf rund 16 Prozent absacken.


Der soziale Absteiger

Lodewijk Asschers Partei der Arbeit droht am 15. März ein Fiasko.
Foto: Richard Wareham

Vizepremier Lodewijk Asscher führt die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA) im Wahlkampf. Der Jurist aus Amsterdam leitet im Kabinett Rutte II das Ministerium für Soziales und Arbeit, er gilt als fähiger Verhandler hinter den Kulissen, im grellen Scheinwerferlicht eines Wahlkampfs wird ihm jedoch mangelndes Charisma bescheinigt.

Die Wählerschaft der PvdA ist unzufrieden mit Ruttes Politik, die Asscher in den letzten Jahren entschieden mittrug. Die Liberalisierungsmaßnahmen in der Wirtschaftspolitik senkten zwar die Arbeitslosigkeit, führten aber zur Ausweitung prekärer Jobverhältnisse und weniger Fixanstellungen, auch das Pensionsalter wurde erhöht. Da der PvdA vor allem die Sozialisten als linkere Alternative für enttäuschte Wählerinnen und Wähler zu schaffen machen, positionierte sich Asscher in den letzten Monaten betont linker als zuvor.

Der Partei der Arbeit, die 2012 24,8 Prozent der Stimmen und damit den zweiten Platz erreichen konnte, sagen Umfragen ungeachtet dessen horrende Verluste und ein Zurückrutschen auf etwa acht Prozent voraus.


Der einsame Islamgegner

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Geert Wilders ist politisch isoliert und dominiert trotzdem den Wahlkampf.
Foto: Yves Herman/Reuters

Die wirtschaftsliberale, rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) ist ganz auf ihren Vorsitzenden und Gründer Geert Wilders zugeschnitten. "Er vertritt seine eigene Version der Neuen Rechten", wie der Politikwissenschafter und Wilders-Biograf Meindert Fennema meint. Sein Programm ist proisraelisch, proamerikanisch und prokapitalistisch, damit unterscheidet es sich wesentlich von anderen rechten Bewegungen. Auch hütet er sich, bei Homosexuellen anzuecken. Klassisch für die europäische Rechte sind dagegen Wilders´ Positionen zur EU – er fordert ein Referendum über den Austritt.

Der äußerst talentierte Redner dominiert nicht nur regelmäßig Parlamentsdebatten, sondern nun auch den Wahlkampf mit seinem Leibthema, der angeblich drohenden Islamisierung der Niederlande. Die anderen Parteien geben ihm durch Aufgreifen seiner Forderungen oder Abgrenzung davon viel Raum.

Der Rechtspopulist ist das einzige Mitglied seiner Partei, die als Verein organisiert ist. Das bringt den Vorteil, niemandem Rechenschaft zu schulden und die Parteifinanzen nicht offenlegen zu müssen. Nachteilig für seine Parlamentsfraktion wirkt sich dagegen das Fehlen eines Parteiapparats aus.

Der PVV wird ein Stimmenzuwachs von zehn auf etwa 16 Prozent prognostiziert, damit würde sie gemeinsam mit der rechtsliberalen VVD von Premierminister Rutte den ersten Platz einnehmen.


Der europaskeptische Linke

Der Sozialist Emile Roemer setzt auf Kapitalismuskritik und kulturelle Identität.
Foto: APA/EPA/REMKO DE WAAL

Emile Roemer ist seit 2010 Fraktionsvorsitzender der linkspopulistischen Sozialistischen Partei (SP), die auf maoistische Bewegungen zurückgeht. In den 1990er-Jahren entradikalisierte sie sich und stellte "die Würde des Menschen" und "zwischenmenschliche Solidarität" in den Vordergrund ihrer Politik.

Die SP übt scharfe Kritik am kapitalistischen System und zeichnet sich durch EU-Skepsis aus. Sie lehnt den Neoliberalismus der Europäischen Union und ihre Entwicklung zu einer Militärmacht ab und bringt dabei auch Argumente vor, die für gewöhnlich im rechten Spektrum angesiedelt sind. So plädiert sie für "ein friedliches Nebeneinander souveräner Völker" und sieht durch weitergehende EU-Integration die kulturelle Identität der Niederlande bedroht.

Die Fraktion des ehemaligen Lehrers Roemer wird Umfragen zufolge ihre 9,7 Prozent in etwa halten können und damit passiv ihre sozialdemokratische Konkurrentin, die etwas weiter rechts stehende Partei der Arbeit, überholen.


Der christliche Konservative

Sybrand van Haersma Buma mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, seiner Parteikollegin in der Europäischen Volkspartei.
Foto: APA/AFP/ANP/ROBIN VAN LONKHUIJSE

Der Christlich-Demokratische Aufruf (CDA), den der Jurist Sybrand van Haersma Buma in die Parlamentswahl führt, bekommt im Wahlkampf recht wenig Aufmerksamkeit. Seine Themen sind Solidarität, geteilte Verantwortung und Nachhaltigkeit. Die Partei ist in den Regionen gut verankert und kann auf einen großen Parteiapparat mit vielen Mitgliedern bauen.

Umfragen sehen den CDA derzeit bei elf Prozent der Stimmen, das wäre eine leichte Steigerung gegenüber den 8,5 Prozent von 2012.


Der Mittlere

Alexander Pechtold versucht mit den Democraten 66 die politische Mitte zu besetzen.
Foto: APA/AFP/EMMANUEL DUNAND

Die als linksliberale Alternative zu den großen Klientelparteien VVD, PvdA und CDA gegründeten Democraten 66 (D66) fungieren inzwischen als Protestpartei für die politische Mitte. Sie haben nur eine marginale Stammwählerschaft und profitieren von der Unzufriedenheit mit den drei etablierten Fraktionen. Das spiegelt sich auch darin wider, dass eine Regierungsbeteiligung für die D66 bis dato stets mit einem katastrophalen Abfall in der Wählergunst endete.

Der vom Kunsthistoriker Alexander Pechtold geführte Block vertritt die Mitte nicht nur ideologisch, er tut es auch im Ranking der Parteien. In Umfragen rangieren die D66 gemeinsam mit den Christdemokraten und Groen Links bei rund elf Prozent.


Der gemäßigte Calvinist

Arie Slob (Christenunion)
Foto: Reiniercu

Arie Slobs Christenunion (CU) hat bereits Regierungserfahrung, die orthodox-calvinistische Partei war von 2007 bis 2010 an der sozialliberalen Koalition mit CDA und PvdA beteiligt.

2012 kam die CU auf 3,1 Prozent der Stimmen, den Prognosen nach kann sie auf leichte Zugewinne hoffen.


Der junge Progressive

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Jesse Klaver konnte die Umfragewerte seiner Partei vervierfachen.
Foto: Peter Dejong/AP

Dem 30-jährigen Jesse Klaver werden gute Aussichten bescheinigt, die chronisch zerstrittene sozialliberale Grün-Partei Groen Links (GL) wieder aus der Versenkung zu holen, in der sie 2012 verschwunden war. Prognosen zeigen GL bei elf Prozent und damit auf einem Niveau mit den Christdemokraten und den Democraten 66, das wäre eine Vervierfachung des mageren Ergebnisses von 2012. Klaver gilt als linker Hoffnungsträger und möglicher Anwärter auf das Amt des Premierministers. Der willensstarke Sohn eines Marokkaners bezeichnet sich als ideologisch nicht festgefahren, damit und mit seinem Erfolg macht er sich auch in der eigenen Partei nicht nur Freunde. Seine Anhänger nennen ihn "Jessias" und feiern seine Pläne für mehr Verteilungsgerechtigkeit und Bildungschancen für alle.


Der Fundamentalist

Kees van der Staaijs radikalkonservative Calvinisten sitzen politisch weitestgehend alleine da.
Foto: APA/AFP/ANP/BART MAAT

Die Reformierte Politische Partei (SGP) unter Kees van der Staaij ist neben den Christdemokraten und der Christenunion die dritte konfessionelle Fraktion der Niederlande, hebt sich in der Radikalität ihrer Forderungen aber von diesen ab. Sie strebt eine Theokratie an, will "alle Abgötterei und falsche Religion abwehren und ausrotten" und Geschäfte und Vergnügungsstätten an Sonntagen generell geschlossen halten. Die SGP selbst geht mit gutem Beispiel voran, ihre Webseite ist an Sonntagen nicht zugänglich. 2012 gaben ihr 2,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme.


Die Tierliebende

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Marianne Thieme von der Partei für die Tiere – der Karottenpatronengürtel ist Programm.
Foto: PAUL VREEKER/Reuters

Marianne Thieme von der Partei für die Tiere (PvdD) tritt für die Verankerung von Tierrechten in der Verfassung und die Beseitigung von Missständen in der Massentierhaltung ein. Auch abgesehen davon ist die Fraktion eher links ausgerichtet, ihre genauen Positionen zu anderen Themen als dem Tierschutz bleiben aber vage. 2012 erreichte die PvdD 1,9 Prozent der Stimmen.


Der Liberale für die Älteren

Henk Krol (rechts)
Foto: imago/Richard Wareham

Der liberale Journalist und LGBT-Aktivist Henk Krol ist Vorsitzender der Partei 50 Plus, die erst 2009 gegründet wurde und sich für die Interessen der älteren Niederländerinnen und Niederländer einsetzen will. Auch sie bekam 2012 1,9 Prozent der Stimmen. (Florian Supé, 10.3.2017)