Es ist vollbracht.

Foto: APA/AP/Morenatti

Barcelona – Nach einer der unglaublichsten Aufholjagden der Fußballgeschichte hat sich der FC Barcelona im Rekordbuch der Champions League verewigt. "Es ist schwer in Worte zu fassen. Das war wie in einem Horrorfilm", meinte Trainer Luis Enrique nach einem Abend, der das größte Champions-League-Comeback der Geschichte zu bieten hatte. Mit einem 6:1 gegen Paris St. Germain schaffte Barca noch den Sprung ins Viertelfinale.

Nach 87 Minuten fehlten drei Tore

Nach 87 Minuten fehlten den Katalanen noch drei Tore, um die Wende zu schaffen. Während selbst beim weitgehend abgeschirmten Lionel Messi die Hoffnung zu schwinden schien, tat sich Neymar als Leader hervor. Der Brasiliener traf per Freistoß (88.), legte per Elfmeter nach (91.) und bereitete das 6:1 durch Sergi Roberto in der fünften Minute der Nachspielzeit vor – im Anschluss an ein Foul am nach vorne geeilten Tormann Marc-Andre ter Stegen. Nach Schlusspfiff brachen im mit knapp 100.000 Zuschauern vollbepackten Camp Nou alle Dämme.

Das 6:1 aus Fan-Perspektive.
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"Das war das beste Spiel meines Lebens", erklärte Neymar. Von der spanischen Presse war er in dieser Saison des Öfteren kritisiert worden. Zu eigensinnig, aber ineffektiv sei der 25-Jährige, hieß es. In der Liga hat der Stürmer in dieser Saison erst acht Treffer erzielt. In der Champions League sind es nun in sieben Spielen vier. Die Sporttageszeitung "Marca" sah in Neymar umgehend einen ernsthaften Kandidaten für die Wahl um den Ballon d'Or des Weltfußballers.

Schnelle Führung

Von der ersten Minute an setzte sich Barcelona, die vielbeschworene "Remuntada" (Aufholjagd) vor Augen, in der Spielhälfte der Gäste fest. Luis Suarez traf bereits in der 3. Minute, in der ersten Spielhälfte kam PSG kaum aus der Defensive. Diese machte die Räume jedoch richtig eng, zum Abschluss kamen die Hausherren selten. Nach einem Eigentor von Layvin Kurzawa (40.) lag Barca dennoch auf Kurs, das ernüchternde 0:4 aus dem Hinspiel auszubügeln. Messi erhöhte per Elfmeter (50.), nachdem Neymar von Gegenspieler Thomas Meunier zu Fall gebracht worden war.

Szenen nach dem Schlusspfiff, Trainer Luis Enrique voll der Freude.

Als PSG durch Edinson Cavani (62.) aber auch auswärts anschrieb, schien die Aufholjagd gestoppt. Die Ernüchterung bei den Gastgebern zeigte sich in dieser Phase auch in Frust. Neymar fiel durch ein überhartes Einsteigen unangenehm auf und sah ebenso Gelb wie Suarez aufgrund einer Schwalbe im Strafraum. Barcelonas epochale Wende hat schlussendlich den Makel, dass eine umstrittene Entscheidung des deutschen Schiedsrichters Deniz Aytekin den Katalanen das fünfte Tor bescherte.

Suarez fiel leicht

Nach einem langen Ball in den Strafraum ging Suarez im Zweikampf mit Marquinhos zu Boden. Zwar hatte es zwischen beiden eine Berührung gegeben, der für seine Mätzchen bekannte Angreifer war jedoch sehr leicht gefallen. Trotz des aus seiner Sicht unberechtigten Strafstoßes machte PSG-Kapitän Thiago Silva den Unparteiischen aber nicht für das Ausscheiden verantwortlich. "Wir dürfen dem Schiedsrichter nicht die Schuld geben, weil wir nicht in der Lage waren, unser Spiel zu spielen", sagte der Innenverteidiger.

Das Match im Schnelldurchlauf.
ORF

Barcelona schaffte schließlich das schier Unmögliche. Noch nie war ein Klub seit Einführung der Champions League 1992 nach einem Vier-Tore-Rückstand im Hinspiel weitergekommen. "Das ist eine historische Leistung, die für immer in Erinnerung bleiben wird", jubelte Klubpräsident Josep Maria Bartomeu. Verteidiger Gerard Pique scherzte: "Die Krankenhäuser sollten mehr Hebammen einstellen, denn heute Nacht wird es viel Liebe geben." Die in Barcelona beheimatete Tageszeitung "Sport" titelte überschwänglich: "Ihr seid Legenden."

PSG-Trainer nicht mehr fest im Sattel

Zum Triumph wurde das Spiel auch für Trainer Luis Enrique. Nach der herben Niederlage in Paris hart kritisiert, hatte der 46-Jährige in der Vorwoche angekündigt, Barcelona per Saisonende zu verlassen. Ihm darf zugutegehalten werden, die Mannschaft perfekt auf die Herausforderung eingestellt zu haben. Enrique rückte in den vergangenen Wochen von seiner taktischen Formation ab und passte seine Elf an ein Spielsystem mit viel Offensive, aber auch viel Risiko an.

Das Cover der französischen Sportzeitung "L'Équipe": "Nicht zu beschreiben."

Nicht auszuschließen, dass PSG-Trainer Unai Emery das "historische Schiffswrack PSG" ("L'Équipe") im Sommer schon wieder verlassen muss. Der katarische Klubchef Nasser Al-Khelaifi vermied ein Bekenntnis zum Spanier: "Ob er noch haltbar ist? Das ist nicht der Moment, um darüber zu sprechen."

Den Tränen nahe

Emery musste einem leidtun. Die Hände vors Gesicht geschlagen, schien er den Tränen nahe. Es sollte das Jahr sein, an dem PSG endlich auch in der Königsklasse Großes anschreiben kann. In der heimischen Liga wenig gefordert, wurde von den Klubbesitzern aus Katar zumindest das Halbfinale als Ziel anvisiert. Der mit dem FC Sevilla in den vergangenen drei Jahren stets in der Europa League siegreich gebliebene Emery sollte dies bewerkstelligen. Und sparte nach dem Spiel nicht mit Kritik.

Im Finish sank die Passquote der Franzosen ins Bodenlose.

Zwar bekam auch Referee Deniz Aytekin sein Fett ab, die Vorstellung seiner Elf brachte Emery jedoch mehr in Rage. "Die Entscheidungen des Schiedsrichters waren gegen uns. Aber deshalb sind wir nicht ausgeschieden", betonte der 45-Jährige. "In den letzten Minuten haben wir alles verloren, für das wir so hart gearbeitet haben." Al-Khelaifi sagte indes: "Es gibt keine Entschuldigungen."

Laut Statistik brachte PSG ab der 85. Minute nur vier Pässe an den Mann. "Ich weiß nicht, was zwischen dem 1:3 und 1:6 passiert ist. Wir wollten uns nicht zurücklehnen, das war sicher nicht der Plan", meinte Mittelfeldmann Adrien Rabiot.

Für PSG ist es das früheste Aus in der Königsklasse seit vier Jahren. An Barcelona war man 2013 und 2015 jeweils im Viertelfinale gescheitert. Erneut verpasste es der französische Serienmeister damit, sich auf der großen Bühne als europäischer Fußball-Machtfaktor zu etablieren. (APA, sid, 9.3.2017)