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Donald Tusks Wiederwahl galt als gesichert.

Foto: REUTERS/Eric Vidal

Brüssel – Zum ersten Mal seit gut zwei Jahren hätten die Staats- und Regierungschefs der Union am Donnerstag in Brüssel die Chance gehabt, ein Treffen positiv zu starten, nicht als von aktuellen Ereignissen getriebenen Krisengipfel.

Die Kommission hatte Wirtschaftsberichte vorgelegt, wonach sich im Gesamtbild ein – wenn auch leichter – Aufschwung verfestigt. Alle EU-Staaten verzeichnen Wachstum, das gab es seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 nicht mehr. In Frankfurt berichtete Präsident Mario Draghi am Nachmittag nach einer Sitzung der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) von der Erwartung noch stärkeren Wachstums 2017.

Und beim Dauerthema Migration zeichnen sich nach den Maßnahmen des Gipfels in Malta im Februar weitere Fortschritte ab. All diese Themen standen auf der Tagesordnung des "Frühjahrsgipfels". Ungeachtet dessen wurde er dennoch von Beginn an von einem bitteren Streit überschattet.

Anlass war eine Personalentscheidung: die Bestellung des Amtes des Ständigen Präsidenten des Europäischen Rates. Das Mandat von Donald Tusk läuft Ende Mai nach zweieinhalb Jahren aus. Der Grund: Die polnische Regierung legte sich gegen den Polen Tusk quer, drohte damit, den Gipfel platzen zu lassen, sollten die Partner nicht einen anderen Kandidaten zum Vorsitzenden wählen.

Polen werde bis zum Ende das Prinzip verteidigen, das die Einheit der EU untermauert", sagte Premierministerin Beata Szydlo. Wer Einwände "nicht akzeptiert, der gefährdet die Stabilität der Union". Tusk sei nicht unparteiisch, habe nicht die Unterstützung Polens. Eine Kampfansage. Ihre national-konservative Regierung hatte als möglichen Tusk-Nachfolger den polnischen EU-Abgeordneten Jacek Saryusz-Wolski nominiert.

Polnische Innenpolitik

Tusk, ihr Vorgänger als Premier, ist ein Liberaler, den Szydlos PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski verachtet. Kaczynski, ein persönlicher Feind Tusks, bezeichnete die Wiederwahl als "sehr schlecht". Er macht ihn für den Tod seines Bruders Lech beim Absturz der Präsidentenmaschine in Smolensk 2010 verantwortlich, sieht ein Mordkomplott.

Der Vorstoß aus Polen wog umso schwerer, als Szydlo in der Sitzung völlig isoliert war. Sogar die Visegrád-Partner Ungarn, Tschechien und die Slowakei versagten ihr die Unterstützung, worüber sie sich am Ende "enttäuscht" zeigte.

Die 27 übrigen Regierungschefs waren sich rasch einig, dass Tusk bestätigt werden soll. Das untermauerte auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel: "Deutschland wird die Wiederwahl von Tusk unterstützen."

Ganz auf dieser Linie äußerten sich auch die europäischen Sozialdemokraten. Bundeskanzler Christian Kern nannte das Vorgehen Warschaus "nicht akzeptabel".

Frankreichs Präsident François Hollande erklärte dies gar zur Notwendigkeit, um "Kontinuität, Kohärenz und Stabilität sicherzustellen" . Er sehe nicht, "wie ein Land eine Lösung verhindert, die von den anderen 27 Staaten bevorzugt wird", erklärte Hollande. Der liberale luxemburgische Premier Xavier Bettel sprach vom Versuch einer "Geiselnahme" durch Polen.

Szydlo versuchte dann eine Abstimmung zu verhindern, die Wahl Tusks auf einen späteren Gipfel zu verschieben. Aber Maltas Premier Joseph Muscat, der als EU-Ministerratsvorsitzender die Wahl des Ratschefs leitete, setzte schon nach kurzer Debatte eine Abstimmung an: "Es kann nicht sein, dass ein Land alle anderen blockiert. So sind die Regeln." Das Ergebnis war eindeutig: 27 Regierungschefs für den Polen Tusk, nur Polen stimmte dagegen.

In einer Pause des Gipfels zeigte sich Szydlo empört, dass ihre Einwände gegen einen "Kandidatenden der Opposition" nicht gehört wurden. Sie sei der Meinung, dass ein Präsident die Zustimmung seines Herkunftslandes haben müsse. Szydlo verweigerte die Zustimmung zu den Schlusserklärungen des Gipfels, de facto ohne Folgen.(Thomas Mayer, 9.3.2017)