Nach der ersten Euphorie bewertet die Immobilienbranche die Auswirkungen des Brexit auf Frankfurt etwas vorsichtiger. Die Türme wachsen bereits jetzt in den Himmel, und der Wohnraum wird knapp.

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Es ist nicht so, dass Frankfurt den Brexit händeringend brauchen würde. Die Stadt am Main wächst auch so rasant, um etwa 15.000 Menschen im Jahr. Doch als deutsches Bankenzentrum wird Frankfurt von vielen als großer Gewinner des nahenden Brexit gehandelt. Neben der Finanzindustrie macht sich auch der Immobilienmarkt am Main erhebliche Hoffnungen.

Im Juni, kurz nach dem Votum auf der Insel, blühten noch ungezügelte Brexit-Fantasien. Frankfurt werde der große Profiteur sein, gefolgt von Dublin und Paris, sagten 555 Vertreter der deutschen Immobilienbranche in einer Befragung von Ernst & Young. Steigende Preise für Frankfurter Wohnungen durch den britischen EU-Austritt prophezeiten 86 Prozent der Befragten, für Büroimmobilien immerhin 79 Prozent.

"Es ist mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass das Ganze etwas länger braucht", sagt Chris- tian Schulz-Wulkow, Leiter des deutschen Immobiliensektors bei Ernst & Young, der die Befragung durchführen ließ. Auch habe sich die britische Wirtschaft bisher gut geschlagen. Dennoch glaubt Schulz-Wulkow: "Wenn es zu Umzügen aus London kommt, und danach sieht es aus, werden sowohl Dublin, Paris als auch Frankfurt profitieren."

Werben um Banken

Fixe Umzüge wegen des Brexit nach Frankfurt sind noch nicht zu vermelden. Überlegungen großer Finanzinstitute, sich stärker in Frankfurt einzuquartieren, gibt es aber zuhauf und werden dort optimistisch als Brexit-Vorboten gewertet. Eine indische und eine japanische Bank hätten vorgefühlt, verlautete zum Beispiel gerade der Lobbyverein Frankfurt Main Finance. Die russische Bank VTB und die amerikanische Citigroup denken ebenfalls laut über Büros in Frankfurt nach. Goldman Sachs soll sich zusätzliche Etagen im Frankfurter Messeturm bereits zugesichert haben, wo die US-Großbank schon bisher ihre Deutschland-Präsenz betreibt.

Frankfurt Main Finance rechnet mit 10.000 neuen Arbeitsplätzen in der Stadt bis 2021. Der große Exodus von Londoner Bankern in Richtung Festland wird voraussichtlich aber nicht eintreten. "London wird nach wie vor das Finanzzentrum in Europa bleiben, aber wenn es zum harten Brexit kommt, werden die Banken Teilbereiche verlagern", sagt Schulz-Wulkow.

Für Frankfurt und seine 700.000 Einwohner wird dies mehr Gedränge auf dem kleinen Stadtgebiet bedeuten – wobei die Lage bei Büroimmobilien deutlich entspannter als am engen Wohnungsmarkt ist. "Wenn in Frankfurt 5000 bis 10.000 Banker hinzukommen, ist das einfacher im Bürobereich zu verkraften", sagt Schulz-Wulkow.

Sehr umtriebig am Frankfurter Wohnimmobilienmarkt ist auch die Wiener Investmentgruppe 6B47. "Frankfurt ist neben Düsseldorf für uns der zentrale Standort in Deutschland", sagt Vorstandschef Peter Ulm im Standard-Gespräch. Derzeit entwickelt 6B47 zum Beispiel das Wohnquartier Green Gate in Frankfurt-Niederrad, wo auf 50.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche Wohnungen entstehen.

Aber auch der Frankfurter Büromarkt, der traditionell mit großen Leerständen zu kämpfen hat, sei zunehmend attraktiv, sagt Ulm, zumal die Überkapazitäten gesunken seien. 2010 hatte Frankfurt 1.750.000 Quadratmeter leerstehende Büroflächen, 2015 noch 1.250.000 Quadratmeter. "Man muss sich auch ansehen, welche Qualität leer steht. Das sind dezentrale Lagen, oft in nicht mehr zeitgemäßer Architektur", sagt Ulm.

Türme boomen

Auch bei 6B47 erwarte man durch den Brexit Impulse für Frankfurt, Ulm plädiert aber für Realismus: "Wenn es Gewinner durch den Brexit gibt, dann wird Frankfurt ganz oben stehen. Euphorie wäre aber falsch. Wer glaubt, dass der Markt abheben wird, überschätzt die Auswirkung des Brexit auf den Rest Europas."

Noch vor dem Brexit wird in Frankfurt bereits groß gebaut. Auf dem ehemaligen Deutsche-Bank-Areal entwickelt Groß & Partner vier Türme mit bis zu 228 Meter Höhe. Von der Pecan Development GmbH wurde gerade der Grundstein für den Marienturm mit 155 Metern gelegt. Und Tishman Speyer plant, seinen 183 Meter hohen Omniturm Ende 2018 fertigzustellen. Auch am Mammutprojekt Maintor Quartier der GEG wird eifrig gebaut.

Im anhaltenden Bauboom mehren sich kritische Stimmen darüber, was das für Frankfurts Bevölkerung bedeutet. So sind die durchschnittlichen Preise für neu gebaute Eigentumswohnungen laut Gutachterausschuss der Stadt zwischen 2006 und 2016 von 2630 Euro pro Quadratmeter auf 4930 Euro gestiegen.

Hessischer Frexit

"Frankfurt hat jetzt schon einen eklatanten Mangel an Wohnraum. Dieser wird sich in den nächsten Jahren nicht beheben lassen", sagt Sebastian Schipper, Humangeograf an der Goethe-Universität Frankfurt. Zumal die Kluft der Einkommen in Frankfurt größer sei als in anderen deutschen Städten. Auf der einen Seite hochqualifizierte Banker, auf der anderen ein großer Niedriglohnsektor. "Es werden zwar Türme auch zum Wohnen gebaut, aber völlig an der Einkommenssituation vorbei", sagt Schipper.

Schon heute ist Frankfurt tagsüber eine Millionenstadt, weil mehr als 300.000 Menschen zum Arbeiten in die Stadt pendeln. Künftig würden es noch mehr werden, weil viele sich das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten könnten, sagt Schipper. Normalverdienern würde somit ein hessischer Frexit, ein Umzug weg aus Frankfurt, bevorstehen. (Lukas Kapeller, 13.3.2017)