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Szenen, die das türkische Fernsehen seit Samstagnacht immer wieder zeigt: Niederländische Polizisten drängten aufgebrachte Demonstranten, die gegen die Ausweisung der türkischen Ministerin Kaya protestiert hatten, vor dem Konsulat der Türkei in Rotterdam zurück.

Foto: Foto: Reuters / Dylan Martinez

Rotterdam am Sonntagmorgen: Auf den Straßen liegen die Scherben eingeschlagener Schaufenster, Pflastersteine, kaputte Flaschen und zerbrochene Blumentöpfe, die wütende Bürger aus den Fenstern auf randalierende türkische Demonstranten geworfen hatten. Stumme Zeugen einer Nacht, in der sich die Hafenstadt an der Maas in einem kriegsähnlichen Zustand befand. Einer Nacht mit kreisenden Helikoptern über der Stadt und Sondereinheiten der Polizei in den Straßen, die rund 2000 Demonstranten abwehren mussten. Einer Nacht, in der der "lange Arm von Erdogan", wie es Kritiker des türkischen Präsidenten nennen, bis an die Nordsee reichte. "Ein Wunder, dass es nur Verletzte gab und keine Toten", sagte ein ebenso erschütterter wie empörter Ministerpräsident Mark Rutte über die gewaltsamen Ausschreitungen.

Auslöser war der schon vor gut einer Woche angekündigte Besuch des türkischen Außenministers Mevlüt Çavusoglu, der in Rotterdam vor Landsleuten für das türkische Verfassungsreferendum am 16. April werben wollte. "Seitdem haben Außenminister Koenders und ich permanent versucht, die Lage nicht eskalieren zu lassen", sagte Rutte. Denn türkischen Wahlkampf auf niederländischem Boden – das sieht Den Haag lieber nicht. Was die Niederländer ebenfalls schwer irritiert: dass die türkische Regierung die in den Niederlanden lebenden Türken als türkische Staatsbürger bezeichnet. "Es sind niederländische Staatsbürger, von denen einige vielleicht auch das türkische Wahlrecht haben", so Rutte.

Den Haag habe im Vorfeld des Besuchs klar Stellung bezogen und gesagt, dass dieser Besuch unerwünscht sei. Sollte er dennoch stattfinden, dann keinesfalls, wie anfänglich geplant, im großen Rahmen in einem Saal, sondern allerhöchstens in aller Stille in der Residenz des türkischen Konsuls in Rotterdam.

Doch dann, mitten im Aushandeln der Rahmenbedingungen, drohte Ankara auf einmal mit Sanktionen – und rief darüber hinaus über Facebook alle Türken in den Niederlanden auf, sich zum Haus des Konsuls zu begeben.

"Lassen uns nicht erpressen"

Um die öffentliche Ruhe und Sicherheit nicht zu gefährden, entzogen die Niederländer dem Außenminister daraufhin die Landeerlaubnis. "Ich glaubte mich in einem schlechten Film", so Rutte. "Die Türken betonen immer, sie seien ein stolzes Land. Aber wir haben auch unseren Stolz. Wir lassen uns nicht erpressen."

Ankara schickte daraufhin Familienministerin Kaya, und zwar per Auto. Sie versuchte noch, die niederländische Polizei abzuhängen, und gelangte auf Schleichwegen zur Residenz des Konsuls – um dort laut schreiend und Widerstand leistend von Polizisten ins Auto verfrachtet und über die Grenze nach Deutschland gebracht zu werden, von wo aus sie zurück in die Türkei flog.

Ein ungekannter Schritt, fanden viele Niederländer und rieben sich verwundert die Augen: Das hatte es in ihrem konsensbewussten Land, das immer den Kompromiss sucht, noch nie gegeben. Ein unerhörter und undemokratischer Schritt, fanden die Türken. Präsident Erdogan bezeichnete die Niederländer als "Nazi-Nachfahren und Faschisten". "Eine Schande!" konterte der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb: "Vielleicht sollte ich Erdogan daran erinnern, dass ich in einer Stadt regiere, die von den Nazis bombardiert worden ist!"

Premier Rutte stellte klar: "Wir haben das vollste Recht, eine Ministerin, die keine Immunität genießt und genau weiß, dass sie gegen unseren Willen in unser Land reist, als ,unerwünschte Ausländerin' zu behandeln!" Ausgewiesen habe man sie keinesfalls, betonte sein Außenminister Bert Koenders, sondern lediglich "bis an die Grenze begleitet".

Der Streit ist der Tiefpunkt einer ganzen Reihe von Vorfällen, die das bilaterale Verhältnis in den letzten Jahren immer wieder auf eine Zerreißprobe gestellt hatten. Vergangenen Sommer wurde eine türkischstämmige niederländische Kolumnistin wegen ihrer Kritik an Erdogan während ihres Urlaubs in der Türkei festgehalten. (Kerstin Schweighöfer aus Rotterdam, 12.3.2017)