Die Ursprungsbedeutung von Lady: "Brotlaib-Kneterin"

Foto: http://www.istockphoto.com/claudiad

Ohne Teig kein Brot ...

Foto: STANDARD/Cremer

Bild nicht mehr verfügbar.

.. und keine Donuts.

Foto: REUTERS/Mario Anzuoni

Tom Jones: She’s a lady

Hector Quintero

Kaum zu glauben, dass eine Lady dem ursprünglichen Wortsinn nach in voraltenglischer Zeit in der Backstube schwitzt und Brot bäckt. Lady Chatterley1 sicherlich nicht. Die vergnügt sich mit Mellors, dem Wildhüter. Die neue First Lady an der Seite von Alexander van der Bellen heißt Doris Schmidauer. Sie führt die Geschäfte im Grünen Parlamentsklub und scheut das Rampenlicht, so liest man. Lady Gaga hingegen zieht gerne alle Blicke auf sich und führt ad absurdum, was man unter einer Lady so landläufig versteht. Fragen wir Tom Jones, denn er weiß es: She’s got style, she’s got grace. She’s a lady.

Die Kunst des Brotbackens ist sehr alt. Die Entdeckung des Sauerteiges, dessen Gärung auf einem wundersamen Zusammenspiel von Hefepilzen und Milchsäurebakterien beruht, geht auf das 3. Jahrtausend vor Christus zurück. Sie wird den Ägyptern zugeschrieben und führt zur Erfindung des Backofens, der sich in der Frühzeit außerhalb des Wohnhauses befand.

Auch die Indogermanen kneteten Brotteig und formten Laibe. Und kurioserweise wurde die germanische Form *hlaibaz ins Finnische (leipä "Brot") und ins Estnische (leib "Brot") entlehnt, zwei nicht-indogermanische Sprachen.

Wir gönnen jetzt dem Teig sehr viel Zeit, lassen ihn gehen und wenden uns der kundigen Lady zu, die sich aufs Brot-Backen versteht. Lady ist im Laufe der Zeit sehr geschrumpft. Im Altenglischen war sie noch ein zusammengesetztes Substantiv, und hlǣfdige ist im Altenglischen Wörterbuch bereits als "Frau, Herrin" eingetragen, und völlig verblasst war die Ursprungsbedeutung "Brotlaib-Kneterin". Aber inspizieren wir das Kompositum etwas genauer!

Der erste Teil von altenglisch hlǣf-dige besteht aus hlāf (gotisch hlaifs, mittelhochdeutsch leip, neuhochdeutsch Laib, dialektal Loab, neuenglisch loaf), und der zweite Bestandteil geht auf gotisch digan "kneten" zurück, das mit gotisch daigs, altenglisch dāg, mittelhochdeutsch teic, neuhochdeutsch Teig und neuenglisch dough wurzelverwandt ist und im Ablautverhältnis steht. Auf dem Weg zum Mittel- und Neuenglischen ist hlǣfdige zu lafdi/lavedi/laddy/lady verschliffen worden.

Auch im männlichen Pendant zur Lady, nämlich dem Lord, im Altenglischen bereits auf hlāford "Hausherr, Gatte, Gott2" zusammengeschrumpft, steckt ursprünglich der Brotlaib, allerdings in der Kombination mit weard3 (hlāf-weard "Brotlaib-Wärter", "Laib-Wart"), und über die Zwischenstufen lāverd und lǭverd erhalten wir den heutigen Lord. Demzufolge wäre also der Lord ein Laibwächter, der die Lady zwar hat kneten lassen, aber das Brotbacken überwacht und beschützt hat.

Wir werfen einen Blick auf den Teig. Er hat ausreichend gerastet. Ohne Teig gäbe es nämlich keine Donuts. Denn wortwörtlich sind doughnuts "Teignüsse". In den letzten 15 Jahren haben die mit Glasur und Zuckerstreusel dekorierten Donuts mit dem Loch in der Mitte den heimischen Markt erobert. Sie verführen Naschkatzen das ganze Jahr über und sind ernstzunehmende Konkurrenten unserer herkömmlichen und mit Marillenmarmelade gefüllten Krapfen, die früher nur im Fasching herausgebacken wurden.

Der Faschingsdienstag ist vorbei. Anhänger des Fastens schwärmen, dass der Verzicht auf kulinarische Genüsse den Geist schärfe. Nun, die indogermanische Teig-Wurzel kommt uns hier zustatten, vollzieht sich doch in den Abkömmlingen des lateinischen Etymons ein großer Wandlungsprozess vom handfesten Kneten hin zum geistigen Formen.

Die Tätigkeit des Knetens und Formens war etwas, das in frühester Zeit nicht nur in der Küche stattfand, sondern man geht davon aus, dass der Wunsch nach Gestaltung etwas zutiefst Menschliches ist. Wen wundert’s, wenn durch Kneten aus einem Lehmbatzen eine Figur geformt wird. Auch das lateinische Verb mit n-Infix im Präsens, fingere 3, fictus "mental formen, sich etwas ausdenken, vorgeben, heucheln", lässt sich zur Teig-Wurzel4 *dheigh- stellen. Es ist nicht so einfach nachvollziehbar, aber indogermanisch -dh- (in der Schwundstufe *dhi-n-gh-) wird im Lateinischen als -f- repräsentiert.

Im Laufe der Menschheitsgeschichte wird das manuelle Formen eines knetbaren Materials metaphorisch zum mentalen Gestaltungsprozess. War lateinisch fictor noch ein Bildhauer, der mit Hammer und Meißel arbeitete, so ist Fiktion bereits etwas Ausgedachtes, etwas der Fantasie eines Menschen Entsprungenes. Im Sport versucht so mancher, seinen Gegner durch eine unvorhergesehene Bewegung zu einer Reaktion zu bewegen, die für den Angreifer einen Pluspunkt bringt. Die Finte kam durch ein taktisch geschicktes Täuschungsmanöver im 17. Jahrhundert mit der Fechtkunst ins Deutsche. Und alsbald machte sich die Finte auch in Politik und Militär breit. Wer andere zu täuschen versucht und wissentlich lügt, der fingiert falsche Tatsachen. Manchmal stellen wir fest, dass wir mit der Wahrheit nicht weit kommen. Das ist der Beginn der Heuchelei. Und schnell ist sie entlarvt. Daher: If you are not interested in what I have to say please tell me, but don’t feign interest.5

Neuenglisch feign findet über altfranzösisch feindre "mutlos und saumselig sein, dahinschwächeln, vortäuschen" den Weg ins Mittelenglische. Auf das Partizip II geht das Adjektiv faint "schwach" zurück, das später als Verb einen "Schwächeanfall" bekommt und bewusstlos liegen bleibt.

Und weil wir jetzt zum Ende kommen müssen, lassen wir eine Dame mit toller Figur fiktiv in Ohnmacht fallen. The lady is fanning her face frantically with a lace handkerchief. She seems on the verge of fainting6. Wer reicht ihr schnell ein Riechfläschchen? (Sonja Winkler, 13.3.2017)