Genf/Astana/Damaskus – Syrien hat sich in sechs Jahren Bürgerkrieg UN-Menschenrechtskommissar Zaid Raad al-Hussein zufolge in eine "Folterkammer" und einen Ort "grausamen Horrors" verwandelt. "Es ist weltweit das schlimmste von Menschen gemachte Desaster seit dem Zweiten Weltkrieg", sagte Al-Hussein am Dienstag in Genf zum sechsten Jahrestag des Konflikts.

Ein Bericht von UN-Ermittlern kommt zugleich zu dem Schluss, dass Syriens Regierung im Kampf gegen Aufständische weiterhin verbotene Chemiewaffen einsetzt. Hilfsorganisationen warnten davor, das Leid in Syrien als Normalzustand hinzunehmen.

Chlorgas-Angriffe

Am 15. März 2011 war es in der syrischen Hauptstadt Damaskus im Zuge der Aufstände in anderen arabischen Ländern erstmals zu größeren Protesten gekommen. Die Regierung ging damals mit Gewalt gegen Demonstrationen vor. Daraus entwickelte sich der Bürgerkrieg, in dem mittlerweile rund 400.000 Menschen getötet wurden. Seit Ende Dezember gilt eine von Russland und der Türkei vermittelte Waffenruhe. Trotzdem kommt es täglich weiterhin zu Angriffen und Kämpfen.

Ein Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates spricht von mindestens fünf Chlorgas-Angriffen regierungstreuer Kräfte seit Anfang des Jahres. So seien im Jänner bei einem Angriff auf ein Dorf bei Damaskus mindestens sechs Menschen verletzt worden.

Auch Schulen seien kein Zufluchtsort mehr, sondern würden skrupellos bombardiert, heißt es weiter. Regierungsnahe Truppen griffen Krankenhäuser und Wasserversorger an. "Das sind Kriegsverbrechen", halten die Experten fest. Sie prangern auch Exekutionen durch Terrororganisationen und Angriffe anderer bewaffneter Gruppen an.

Hilfsmaßnahmen unterfinanziert

Hilfsorganisationen kritisierten mangelnde Unterstützung für 14 Millionen Syrer, die auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. "Dass vor Ort ein brüchiger Waffenstillstand herrscht, heißt nicht, dass die Bevölkerung wieder sauberes Wasser und genug zu essen hat oder die Kinder wieder zur Schule gehen können", erklärte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann. Die UN-Hilfsmaßnahmen seien jedoch weiter massiv unterfinanziert.

Die Hilfsorganisation "Aktion gegen den Hunger" erklärte, die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge habe ihre finanziellen Mittel aufgebraucht. Mitarbeiter hätten von Kinderarbeit, Ausbeutung durch Arbeitgeber, Prostitution und mehr frühen Hochzeiten berichtet.

Die Organisation "Ärzte der Welt" prangerte Gewalt gegen medizinische Einrichtungen an. "Wir können unserer Aufgabe nicht ausreichend nachkommen, obwohl wir mit der größten humanitären Katastrophe unserer Zeit konfrontiert sind", hieß es in einer Erklärung.

Russland kritisierte unterdessen die Absage der Rebellen an die neue Runde der Syrien-Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana. Die genannten Gründe seien nicht schlüssig, sagte Außenminister Sergej Lawrow der Agentur Tass zufolge. "Verletzungen der Feuerpause hat es immer gegeben. Das ist ein natürlicher Prozess", erklärte er. Syriens Regierung gab der Türkei die Schuld für das Fernbleiben der Rebellen.

Verhandlungen

Die Rebellenvertreter hatten ihre Teilnahme aus Protest gegen regelmäßige Verstöße der Regierungstruppen gegen die Feuerpause abgesagt. Bei der am Dienstag begonnenen dritten Runde der Syrien-Gespräche in Astana soll es unter der Vermittlung Russlands und der Türkei vor allem um die Stärkung der brüchigen Feuerpause gehen.

Russland ist neben dem Iran der wichtigste Verbündete der Regierung in Damaskus, die Türkei unterstützt die Rebellen. Der Astana-Prozess läuft parallel zu den Genfer Syrien-Verhandlungen unter UN-Vermittlung. Diese sollen Ende März fortgesetzt werden. (APA, 14.3.2017)