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Bis zu 40.000 Ukrainer überqueren täglich an einem der Checkpoints die Kontaktlinie zu den Separatistengebieten.

Foto: AP / Alexander Ermochenko

Dort, wo früher die Lenin-Statue war, steht heute ein Lautsprecher. "Slawa Ukraini!" (Ruhm der Ukraine!) ruft ein Mann in das Mikrofon. Es ist der Schlachtruf der Revolution am Kiewer Maidan. Aber heute, an diesem milden Sonntagnachmittag, an dem die Menschen der Todesopfer vor drei Jahren gedenken, will der revolutionäre Funke nicht so richtig zünden. Nur 20 Männer und Frauen haben sich mit Fahnen und Blumen in Blau-Gelb, den ukrainischen Nationalfarben, versammelt. Die Passanten nehmen davon kaum Notiz und hasten weiter.

Slowjansk. Die 110.000-Einwohner-Stadt in der Ostukraine ist 2014 zum Ausgangspunkt des Krieges geworden, als bewaffnete Männer unter dem russischen Milizführer Igor Girkin alias Strelkow sie besetzten. Im Sommer 2014 hat die ukrainische Armee die Stadt wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Heute verläuft die Frontlinie zu den prorussischen Separatistengebieten fast 100 Kilometer weiter östlich.

Nicht alle Hebel in Bewegung

Bürgermeister Wadim Ljach sitzt in seinem Kabinett in der Stadtverwaltung, mit Blick auf den leeren Sockel des Lenin am Hauptplatz, der infolge der gesamtukrainischen "Dekommunisierung" gestürzt worden ist. Es gibt kaum ein Plakat in Slowjansk, auf dem nicht die "Einheit der Ukraine" beschworen wird, kaum ein Geschäft, das nicht die blau-gelbe Fahne gehisst hat. Dennoch habe Kiew zu wenig gemacht, um die Herzen und Köpfe der Bewohner zu erobern, klagt Ljach. Von den knapp 130 Häusern, die hier im Krieg zerstört wurden, seien bisher nur 30 vom Roten Kreuz neu errichtet worden. Dass der Staat nicht alle Hebel in Bewegung setzt, um Slowjansk wieder aufzubauen, hat für viel Misstrauen gesorgt, sagt Ljach. "Sollen wir etwa so für die Ereignisse von 2014 bestraft werden?"

Ljach war viele Jahre Mitglied der Partei der Regionen des geflüchteten Präsidenten Wiktor Janukowitsch und wurde für die Nachfolgepartei Oppositionsblock 2015 zum Bürgermeister gewählt. Seine Kritik wird aber auch in der Hauptstadt Kiew von vielen Politikern geteilt. Der Staat habe zu wenig gemacht, um die Menschen aus dem Donbass für die ukrainische Sache zu gewinnen, sagt etwa Heorhyj Tuka, stellvertretender Minister für die besetzten Gebiete. Bis heute gebe es kaum Unterstützung für die rund 1,7 Millionen registrierten Binnenflüchtlinge, die aus den Kriegsgebieten in andere Teile der Ukraine geflohen sind. Zudem seien die Vorbehalte gegen die Ostgebiete immer noch groß. "Es gibt das Klischee, dass alle dort Separatisten sind", sagt er.

Ausgestreckte Hand

So ist es auch bezeichnend, dass es fast drei Jahre gedauert hat, bis sich die Regierung zu einem offiziellen Dokument durchringen konnte, um den Status der Zivilbevölkerung in den Separatistengebieten zu klären. Sind die Menschen dort Terroristen, Geiseln oder Opfer der russischen Aggression? "Sie sind ukrainische Staatsbürger, und wir dürfen sie nicht im Stich lassen", sagt Tuka.

Dass der Staat mit dem "Plan zur Reintegration" erstmals die Hand nach ihnen ausstreckt, sei zumindest ein Anfang. Freilich kein leichter, da Kiew nach wie vor jeden direkten Kontakt zu den De-facto-Machthabern in den selbstproklamierten Volksrepubliken ablehnt. So soll der Austausch auf der persönlichen Ebene, etwa zwischen Lehrern und Schülern, gefördert werden. Dass jeden Tag 30.000 bis 40.000 Ukrainer die Kontaktlinie zwischen den ukrainisch kontrollierten und den Separatistengebieten überqueren, sieht auch die OSZE als Chance, den Dialog zu fördern. "Das zeigt, dass es einen ständigen Austausch gibt", sagt der stellvertretende Leiter der OSZE-Mission in der Ostukraine, Alexander Hug.

Es fehlt das Geld

Doch für eine nachhaltige Strategie fehlen Kiew oft die Mittel. Selbst in vielen ukrainisch kontrollierten Frontstädten kann nur das Fernsehen aus Moskau oder Donezk empfangen werden. Jüngst ist einem Zeitungsprojekt, das an den Checkpoints die ukrainische Sicht der Dinge verbreiten soll, das Geld ausgegangen. Wenn auch die ukrainischen Medien die Kriegstaten der Armee schönen – dort, wo nur das russische Fernsehen empfangen wird und die Ukrainer als Faschisten geschmäht werden, werden die Gräben zur Zentralregierung immer tiefer.

Die Zeit arbeitet dabei gegen Kiew. Schritt für Schritt werden die Beziehungen zwischen Donezk, Luhansk und Moskau formalisiert. Zuletzt hat der Kreml die Pässe der "Volksrepubliken" von Donezk und Luhansk offiziell anerkannt. "Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es sein, die Gebiete zu reintegrieren", sagt Tuka. Und auch in der Restukraine werden die Stimmen lauter, die den Donbass aufgeben wollen. Laut Umfragen sind mittlerweile 17 Prozent der Ukrainer dafür, alle Beziehungen zu den Separatistengebieten zu kappen. (Simone Brunner aus Slowjansk, 14.3.2017)