Die langersehnten Urteile des Europäischen Gerichtshofs in zwei Vorabentscheidungsverfahren haben am Dienstag Licht ins Kopftuchverbot-Dunkel gebracht. Quer durch Europa werden angesichts einer wachsenden kritischen Distanz islamische Zeichen und Kleidungsgewohnheiten diskutiert – und beschränkt. Nach einem unübersichtlichen Mix an nationalen Entscheidungen hat der EuGH nun zumindest in einem belgischen Fall (der zweite aus Frankreich wurde an die Instanz zurückverwiesen) klar entschieden.

Demnach sind Unternehmensvorschriften, nach denen das Tragen eines Kopftuches unzulässig ist, möglich. Aber: Die Beschränkungen müssen für alle sichtbaren Zeichen gelten, die weltanschauliche, politische oder religiöse Überzeugen repräsentieren. Der Arbeitgeber muss seine Vorgaben also so treffen, dass nicht nur Mitarbeiter muslimischen Glaubens betroffen sind. Ansonsten wären die Vorschriften diskriminierend und würden somit gegen die Grundrechte verstoßen. Religionsfreiheit umfasst demnach nicht nur das Recht, religiöse Überzeugungen zu haben, sondern auch, diese in der Öffentlichkeit zu bekunden.

Rezeptionistin betroffen

Im konkreten Fall hatte das Sicherheitsunternehmen G4S eine Rezeptionistin dennoch zurecht freigesetzt. Drei Jahre nach ihrem Dienstantritt kündigte sie im April 2006 an, während der Arbeitszeiten das islamische Kopftuch zu tragen. Die Geschäftsleitung akzeptierte das unter Verweis auf die im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erlassenen Richtlinien und entließ die Angestellte.

Dass die Mitarbeiterin im Kampf gegen die Freisetzung beim EuGH unterlegen ist, hängt auch mit der Art ihres Jobs zusammen. Als Rezeptionisten hatte sie viel Kontakt mit Kunden. Und hier sei der Wunsch des Arbeitgebers, nach außen das Bild der Neutralität zu vermitteln. Wie es im Innendienst aussieht, bleibt vorerst unklar. Im zweiten Fall hat nämlich das vorlegende Gericht nicht hinreichend geklärt, ob sich die mit dem Tragen eines Kopftuchs begründete Kündigung auf eine diskriminierungsfreie interne Regelung des Unternehmens stützt.

Mehr Verbote erwartet

Ist das nicht der Fall, wäre es auch möglich, dass eine legale Diskriminierung vorliegt. Derartige Ungleichbehandlungen sind aber nur erlaubt, wenn sie objektiv gerechtfertigt werden können (es muss sich um eine "entscheidende berufliche Anforderung" handeln). Bereits anerkannt wurden in diesem Zusammenhang Altersgrenzen für Piloten und Feuerwehrleute.

Das Urteil könnte verschiedene Folgen haben. Einerseits haben Unternehmen jetzt mehr Rechtssicherheit, wenn sie Neutralitätsgebote ihrer Mitarbeiter verlangen. In Deutschland meinen einige Experten, dass sich dadurch die Jobchancen von Musliminnen verschlechtern könnten. Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht in Bonn, befürchtet eine Ausgrenzung streng muslimischer Frauen auf dem Arbeitsmarkt, wie er der Süddeutschen Zeitung sagte.

Auch auf den öffentlichen Dienst könnte das Urteil Auswirkungen haben – und hier wiederum speziell in Deutschland. Denn das dortige Bundesverfassungsgericht hat das pauschale Kopftuchverbot an Schulen Nordrhein-Westfalen 2015 gehoben. Dafür bedürfe es einer hinreichend konkreten Gefährdung des Schulfriedens, meinte das Höchstgericht damals. Die Privilegierung christlich-abendländicher Traditionen sei mit der im Grundgesetz verankerten Religionsfreiheit nicht vereinbar. (Andreas Schnauder, 15.3.2017)