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Dass der ERC Spitzenforschung fördert, zeigt sich auch an den zahlreichen Preisen, die für die Forschung aus ERC-Projekten vergeben werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist der niederländische Chemiker Ben Feringa: Seine Forschung zu Nanocars (siehe Bild) wurde in der ersten Ausschreibung von ERC Advanced Grants 2008 gefördert, 2016 wurde ihm dafür der Chemienobelpreis verliehen.

Illustration: Picturedesk/ALFRED PASIEKA

Wien – Wissenschafter fühlen sich derzeit politisch gefordert – und zwar so stark wie wie schon lange nicht. Der weltweit zunehmende Nationalismus könnte zur Bedrohung für ihre Arbeit werden. Da gibt es eine klare Agenda zu verfolgen. Der Systembiologe Giulio Superti-Furga beschreibt sie so: "In Zeiten, in denen sich viele Menschen fragen, wozu es eine EU gibt, sollten wir klarmachen, dass sie für die Forschung sehr viel geleistet hat und dass es wichtig ist, über den nationalen Tellerrand zu denken."

Der Direktor des Forschungszentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sieht darin eine Kernbotschaft zum Zehn-Jahr-Jubiläum des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC), der gegründet wurde, um exzellente Grundlagenforschung, die völlig ergebnisoffen ist, auf einer europäischen Ebene zu fördern. Superti-Furga ist seit kurzem Mitglied im Scientific Council des Rats und ist überzeugt: "Es ist die einzig mögliche Ebene für Wissenschafter: international denken, europäisch, wenn es die Projekte zulassen, sogar in Richtung USA oder Asien."

Die Qualität der Forschung werde international begutachtet, und weil man sich in einem offenen Wettbewerb befinde, seien selbstverständlich auch Mitarbeiter aus aller Welt an den Instituten, die in diesem Wettstreit der besten Köpfe bestehen wollen, sagt Superti-Furga.

Bahnbrechende Forschungen

Der ERC hat mit drei zentralen Förderschienen – Starting, Consolidator und Advanced Grant (siehe Grafik Seite F 3) – binnen kürzester Zeit den "Goldstandard für die Grundlagenforschung" gesetzt, wie es die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny formuliert. Sie war von 2010 bis 2013 Präsidentin des Rats. "Es ist nachgewiesen, dass Exzellenz das einzige Kriterium ist, um einen ERC Grant zu bekommen", sagt Janet Thornton, Wissenschafterin am European Bioinformatics Institute in Hinxton, Großbritannien, und wie Superti-Furga Beirätin des ERC. Ein ERC Grant in der Forschung sei daher vergleichbar mit einer Goldmedaille im Sport.

Beispiele für bahnbrechende Forschungen, die damit gefördert wurden, gibt es viele: Deniz Kirik beispielsweise entwickelte an der Lund-Universität in Schweden eine vielversprechende Gentherapie gegen die Parkinson-Krankheit. Valeria Nicolosi vom Trinity College Dublin in Irland baute Batterien, die 5000-mal länger halten als herkömmliche. Michael Gillon von der Universität Liège in Belgien entdeckte erst jüngst sieben Exoplaneten in relativer Erdnähe, was die Hoffnung nährt, bei der Suche nach außerirdischem Leben bald Erfolg haben zu können.

Breite Palette

Der Forschungsrat macht keine Themenvorgaben, alle Projekte werden bottom up eingereicht. Dadurch decken vom ERC geförderte Projekte eine breite inhaltliche Palette ab, sagt Thornton – von Naturwissenschaften und Life-Sciences bis hin zu Ingenieurs- und Sozialwissenschaften.

Insgesamt hat der ERC in den vergangenen zehn Jahren zwölf Milliarden an Forschungsgeldern ausgeschüttet – finanziert durch die Forschungsrahmenprogramme der EU. 7000 Preisträger wurden damit ausgezeichnet sowie über 50.000 Teammitglieder finanziert. Die Mehrheit der ERC-Preisträger ist unter 40 Jahre alt.

Von den 7000 Grants sind 180 nach Österreich gegangen. Beispielweise an den Neurowissenschafter Peter Jonas des IST Austria in Klosterneuburg, der im vergangenen Jahr auch Wittgenstein-Preisträger war: Er untersucht in einem Projekt biophysikalische Eigenschaften von Synapsen, den Kontakten zur Reizübertragung zwischen Nervenzellen – und wie sie auf höhere Hirnfunktionen und sogar auf Verhaltensweisen Einfluss nehmen.

11. Platz im Ranking

180 Grants insgesamt für den Standort Österreich ist eine Zahl, die dem Land derzeit den elften Platz im Gesamtranking beschert. Bemerkenswert daran ist, dass nur 55 von einheimischen Wissenschaftern an österreichischen Forschungseinrichtungen eingeworben wurden. Das Land scheint mit 125 nichtheimischen erfolgreichen Wissenschaftern einen hohen Internationalisierungsgrad aufzuweisen. Allerdings kommen allein 58 erfolgreiche Grant-Einwerber aus Deutschland.

Die größte Universität Österreichs, die Uni Wien, hat auch die meisten Grants eingeworben. Die erfolgreichen österreichischen Forschungseinrichtungen beim ERC sind im Vergleich zur Anzahl der Professoren und Gruppenleiter das Institut für Molekulare Pathologie (IMP), das IST Austria in Klosterneuburg und das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA).

Helga Nowotny lobt besonders Forschungseinrichtungen wie das IST Austria: "Internationalisierung heißt, attraktiv für Forscher und Forscherinnen von anderswo zu sein, da es die Besten sind, die von entsprechend guten Arbeitsbedingungen angezogen werden. In der Wissenschaft gilt das Prinzip: Exzellenz zieht Exzellenz an." Was das für Österreich in Zukunft bedeutet? "Man sollte forschungsintensive Cluster fördern. Universitäten sind gut beraten – soweit das noch nicht geschieht -, sich aktiv um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu kümmern und diesen besonders auch in Hinblick auf ERC-Anträge zu unterstützen."

Weniger Bewilligungen für Frauen

Mobilität scheint in der heimischen Forschung jedenfalls kein Problem zu sein: Insgesamt 77 Österreicher haben ihre Förderungen an ausländischen Forschungseinrichtungen erhalten. Das bedeutet: Es sind mehr Österreicher im Ausland als in ihrer Heimat erfolgreich.

Schlecht schneidet das Land bei der Bewilligungsquote von Frauen ab. Nur 32 Frauen an heimischen Institutionen konnten einen ERC Grant einwerben verglichen mit 148 Männern. Damit liegt der Frauenanteil unter den ERC-Preisträgern bei nur 17,8 Prozent.

Im ERC-Durchschnitt liegt die Frauenquote nur wenige Prozentpunkte besser: 23 Prozent der Preisträger sind Frauen bei 26 Prozent weiblichen Antragstellerinnen. Das heißt, rund dreimal so viele Männer stellen einen ERC-Antrag wie Frauen, und die Männer schneiden auch bei der Bewilligungsquote besser ab als ihre weiblichen Konkurrentinnen.

Hohes Niveau

Aus welcher Sicht auch immer die Medaille betrachtet wird: Das Niveau der heimischen Grundlagenforschung wird allgemein gelobt. Auch Thomas König, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Strategieberater am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien, sieht eine sehr gute Bilanz. "Österreich schneidet hervorragend ab." Der Politikwissenschafter war drei Jahre lang wissenschaftlicher Berater von ERC-Präsidentin Helga Nowotny und hat zuletzt ein Buch über den Forschungsrat vorgelegt. (The European Research Council, Polity, London 2017).

König sagt, dass innerhalb Europas die ERC-Statistiken sehr genau zeigen, "welche Regionen in der exzellenten Grundlagenforschung wirklich gut unterwegs sind – und welche nicht." Osteuropäische Staaten sind weniger erfolgreich.

Ein Problem, das man aus seiner Sicht nicht mit einer breiteren Definition von Exzellenz innerhalb des ERC lösen kann. In Osteuropa gebe es Nachholbedarf in Sachen Infrastruktur, ein ERC-Projekt hätte da keinen nachhaltigen Impact. "Da können von der EU nur die Strukturförderfonds eingesetzt werden", sagt König.

Unsicherheiten nach Brexit

Eine andere große Herausforderung dürfte an der Spitze der Grant-Rankings liegen: Großbritannien, das nun den beschlossenen Austritt aus der EU auf den Weg bringt. Ob eine Assoziierung mit dem ERC und allen anderen EU-Programmen gelingt, bezweifeln sogar die größten Optimisten an. Nowotny: "Der Brexit ist tragisch für die Wissenschaft in Großbritannien und in Europa."

Es sei nie gut, wenn ein starker Konkurrent ausscheidet, und auch für das künftige ERC-Budget seien Kürzungen mit dem Argument zu befürchten, dass es nun weniger Mittel braucht. Nowotny: "Ich bezweifle sehr, dass Großbritannien je ein Associated Country wird, da Personenfreizügigkeit dafür eine Grundvoraussetzung ist." Und die dürfte für die britische Regierung kein Thema sein, wie auch Thomas König bestätigt.

Viel Ungewissheit

Mit Ungewissheit blickt die Britin Janet Thornton den EU-Austrittsverhandlungen Großbritanniens entgegen: Viele britische Wissenschafter würden dieser Tage den Kontakt zu Politikern suchen, um mit ihnen über die Rolle der Wissenschaft für die Gesellschaft zu sprechen und darüber, warum es wichtig sei, Teil der europäischen Forschungsgemeinschaft zu sein. "Wenn es an den Wissenschaftern läge, die Entscheidung zu treffen, würden wir sehr gerne im ERC bleiben, uns ist aber auch bewusst, dass die Entscheidungen nicht maßgeblich auf wissenschaftlichen Kriterien basieren werden", sagt Thornton. Und ergänzt: "Ich persönlich kenne keinen einzigen Wissenschafter, der nicht Teil der globalen wissenschaftlichen Unternehmung sein will." (Peter Illetschko, Tanja Traxler, 15.3.2017)