Michael Gruner im Hamakom-Theater.

Foto: Nathan Spasic

Wien – Manchmal hält die Entwicklungsgeschichte der Arten auch große Überraschungen bereit. Der berühmteste Affe der Weltliteratur heißt, einer entstellenden Narbe auf der Wange wegen, Rotpeter (Michael Gruner). Er gilt als eine der glücklichsten Erfindungen Franz Kafkas. In Ein Bericht für eine Akademie erzählt Rotpeter von den Etappen seiner Menschwerdung. Man muss seine Karriere unbedingt zu den Spitzenleistungen in anthropologischer Hinsicht zählen.

Im Wiener Hamakom-Theater zeigt der äffische Varietékünstler voller Stolz, dass er das Spiegelstadium erreicht hat. Er sitzt mit dem Rücken zum Publikum im Lederfauteuil. Vor ihm flimmert King Kong über eine Spiegelwand, und man sieht nicht ohne Entsetzen, wie sich das stark behaarte Filmtier, immerhin Rotpeters Cousin, von den Ketten losreißt, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Es sind gemischte Regungen, die den in die Jahre gekommenen Affen aus dem Sitz reißen. Seine Rechtfertigungsrede vor einem akademischen Konsortium gehört während der ersten Dreiviertelstunde zu den besten Theaterleistungen, die zurzeit in Wien zu sehen sind.

Erst furios, dann ernüchternd

Gruners Blick grast die Premierenbesucher ab, in einer raren Mischung aus Beflissenheit und Ekel. Er spreizt das Gehstöckchen ab und deutet federleicht ein paar Fred-Astaire-Schritte an, wie um seine Stellung in der Kulturindustrie zu unterstreichen. Der gewindelte Affe ist das Paradebeispiel einer "gelungenen" Assimilation, die die rücksichtslose Selbstausbeutung zur Raison d'être erhebt. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen, so nennt sich der Abend im Nestroyhof (Regie: Frederic Lion). Er hebt furios an, weil Gruner als bananenschmatzende Kreatur in die Schule der subversiven Weltverbesserer gegangen ist.

Das Lebenslicht flackert bedrohlich. Nach der Pause erlischt es ganz. Rotpeter kehrt wieder in der Maske Krapps, jenes unmanierlichen Alten, der in Becketts Das letzte Band einen Tisch mit Tonband besetzt hält, eine letzte Bastion gegen die Heillosigkeit der Existenz. Man könnte nicht sagen, dass Gruner nicht alle Register zieht. Aber es macht sich die Müdigkeit einer Schulfunkstunde breit. Dieser taubengraue Mensch auf der Bühne ist unser Bruder. Aber die Regie hat ihm keine Mittel an die Hand gegeben, um dem Schicksal eine lange Nase zu drehen. Übrig bleibt Ernüchterung. (Ronald Pohl, 15.3.2017)