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Premier Ruttes VVD verlor zwar einige Sitze, konnte aber den ersten Platz verteidigen.

Foto: AP Photo/Patrick Post

Bei der zur europäischen "Schicksalswahl" erklärten Parlamentswahl in den Niederlanden haben die Rechtspopulisten einen Dämpfer erlitten: Die rechtsliberale VVD von Ministerpräsident Mark Rutte setzte sich am Mittwoch klar gegen die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders durch. Die Wahlbeteiligung war mit rund 77 Prozent hoch. "Das nächste Dominosteinchen nach Trump und Brexit ist nicht umgefallen!", erklärte ein zufriedener Rutte. "Die Niederlande haben dem falschen Populismus Halt zugerufen!"

Ruttes Rechtsliberale mussten zwar Verluste einstecken, bleiben mit voraussichtlich 33 Sitzen aber größte Fraktion im 150 Sitze zählenden Abgeordnetenhaus. 2012 hatten sie noch 41 Sitze erreicht. "Grund zur Bescheidenheit", befand Rutte. "Das ist nicht viel für die größte Partei."

Auf Platz zwei liegt Wilders' Partei für die Freiheit (PVV) mit 20 Sitzen, dicht gefolgt von den Christdemokraten und den europafreundlichen D66-Demokraten, die beide stark zulegen konnten und voraussichtlich 19 Mandate erreichen. Bei ihnen war der Jubel groß, Wilders hingegen kommentierte sein Abschneiden erst nach Mitternacht als letzter Parteichef mit den Worten: "Es hätte besser sein können." In Umfragen war seine Partei zeitweise in Führung oder gleichauf mit Ruttes VVD gelegen. Bei der Wahl 2012 hatte sie 15 Mandate erreicht.

Fiasko für Sozialdemokraten

So ist der Stand nach dem Auszählen von 95 Prozent aller Stimmen, das endgültige Wahlergebnis wird erst für den Freitag erwartet, da aus Sicherheitsgründen per Hand gezählt wird.

Größter Verlierer sind die Sozialdemokraten (PvdA), Ruttes bisheriger Koalitionspartner. Von ihren 36 Sitzen sind nur neun übriggeblieben – eine historische Niederlage. Sie bezahlen den Preis für die drastischen Einsparungen, die das sozialliberale Kabinett zur Bekämpfung der schweren Wirtschaftskrise in den vergangenen vier Jahren umgesetzt hat. "Dramatisch!", erklärte PvdA-Spitzenkandidat Lodewijk Asscher, bisher Minister für Arbeit und Soziales. "Wir lecken unsere Wunden." Aber, so sprach er seinen Mitgliedern Mut zu: "Unsere Ideale sind es wert, weiter zu kämpfen." Das betonte auch Jeroen Dijsselbloem, Eurogruppenchef und bislang sozialdemokratischer Finanzminister der Niederlande: "Heute beginnt der Wiederaufbau!"

Grüne mehr als verdreifacht

Die Sozialdemokraten haben in der Hauptsache Wähler an Groen Links verloren, die niederländischen Grünen. Sie sind der spektakuläre Sieger dieser Wahl: Dank ihres charismatischen jungen Spitzenkandidaten Jesse Klaver konnten sie vor allem junge, linke Wähler an sich binden und die Zahl ihrer Sitze von vier auf 14 mehr als verdreifachen – der größte Erfolg in ihrer Geschichte. Aber genauso wichtig sei, "dass dieses Mal mehr Jungwähler als je zuvor von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben", sagte ein umjubelter Klaver in der Wahlnacht. Denn die Wahlbeteiligung ist auf 77,7 Prozent geklettert – drei Prozentpunkte mehr als 2012.

Die niederländische Parteienlandschaft ist nach dieser Wahl noch zersplitterter, als sie es ohnehin schon war – ein "Vielstromland", wie es heißt. 15 neue Splitterparteien hatten sich der Wahl gestellt, zwei ist der Einzug ins Parlament gelungen: dem Forum für Demokratie von Thierry Baudet, das den Nationalstaat rehabilitieren will und zwei Sitze errang, und Denk, der umstrittenen Migrantenpartei, die Diskriminierung und Rassismus bekämpfen will, aber den autoritären Regierungsstil des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP unterstützt. Sie bekommt voraussichtlich auf Anhieb drei Sitze.

Rutte schließt Koalition mit Wilders aus

In Den Haag beginnen am Donnerstag die Koalitionsverhandlungen, dazu treffen sich die Spitzenkandidaten aller Fraktionen zuerst mit der Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer, Khadija Arib. Rutte wird als Wahlsieger vermutlich die Initiative ergreifen dürfen. Er hatte bereits vor der Wahl erklärt, am liebsten mit den Christdemokraten und den progressiven D66-Demokraten weiterregieren zu wollen. Für eine Mehrheit jedoch braucht er mindestens eine, wenn nicht zwei weitere Parteien. Ob das die Grünen werden, bleibt abzuwarten. Lieber dürften ihm zwei kleine calvinistische Splitterparteien sein – womit den Niederlanden eine konservative Mitte-rechts-Regierung ins Haus stehen könnte.

Die Zusammenarbeit mit Wilders haben bis auf zwei Splitterparteien alle ausgeschlossen, auch Ruttes VVD. Wilders macht sich dennoch Hoffnungen, nach einer gescheiterten ersten Verhandlungsrunde noch als Koalitionspartner infrage zu kommen. "Wenn möglich, würde ich gerne mitregieren, aber wenn es nicht geht (...) werden wir das Kabinett, wo nötig, unterstützen bei den Fragen, die uns wichtig sind", sagte Wilders. Danach kündigte er eine starke Opposition an. "Ich wäre lieber stärkste Partei geworden", sagte er vor Reportern. "Wir haben Stimmen dazugewonnen, das ist ein Ergebnis, auf das man stolz sein kann." Zuvor hatte er auf Twitter den Regierungschef gewarnt: "Rutte ist mich noch lange nicht los!"

Merkel und Juncker erfreut

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gratulierte Rutte: "Ich freue mich auf weiter gute Zusammenarbeit als Freunde, Nachbarn, Europäer", sagte die Kanzlerin laut Regierungssprecher Steffen Seibert in einem Telefonat.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich erfreut über das Wahlergebnis. Die Niederländer hätten "gegen die Extremisten" gestimmt, schrieb Junckers Sprecher Margaritis Schinas auf Twitter.

Frankreichs Präsident François Hollande wertete den Wahlausgang als "klaren Sieg gegen den Extremismus". "Die Werte der Offenheit, des gegenseitigen Respekts und des Glaubens an die Zukunft Europas sind die einzig wahre Antwort auf nationalistische Bestrebungen", erklärte Hollande.

Der italienische Regierungschef Paolo Gentiloni zeigte sich erleichtert über das proeuropäische Votum der Niederländer. "Kein #Nexit. Die Anti-EU-Rechte hat die Wahl in den Niederlanden verloren", schrieb er am Mittwochabend auf Twitter.

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon freute sich über das mäßige Abschneiden von Wilders. Mit einem einzigen Wort kommentierte sie auf Twitter einen Artikel der Zeitung "The Scotsman", der Wilders' Niederlage konstatierte: "Good", schrieb Sturgeon. Die Regierungschefin hatte am Montag wegen des Brexits ein neues Referendum zur Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien angekündigt. (Kerstin Schweighöfer, red, 16.3.2017)