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Diese Frau aus Simferopol bekam im April 2014 wie alle Einwohner der Krim einen russischen Pass (rechts) ausgehändigt, offenbar ohne den ukrainischen abgeben zu müssen.

Foto: Maxim Shemetov/Reuters

Kiew/Wien – Nicht nur in Österreich schlägt das Thema Doppelstaatsbürgerschaften derzeit hohe Wellen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko brachte vergangenen Montag im Parlament den Antrag auf eine Gesetzesänderung ein, die unter anderem vorsieht, illegalen Doppelstaatsbürgern ihre ukrainischen Pässe zu entziehen. Die Frage, wer von der Novelle betroffen wäre und ob man sie überhaupt exekutieren könnte, sorgt derzeit für Verwirrung.

Auslegungsprobleme

Der in der Ukraine weit verbreitete Mythos, die Verfassung enthalte ein grundsätzliches Verbot mehrfacher Staatsbürgerschaften, geht auf eine falsche Wortinterpretation zurück. Der Ausdruck "einzige Staatsbürgerschaft" meint nur das Verbot, Staatsbürger eines administrativen Teiles der Ukraine (statt des Gesamtstaates) zu sein. Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist zurzeit und auch nach der Novelle legal, wenn die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes "unfreiwillig", also ohne aktives Zutun, erlangt wurde, etwa durch Heirat, Geburt als Kind eines nichtukrainischen Elternteils oder Ausfolgung eines fremden Passes ohne Antrag. Letzterer Fall betrifft ukrainische Sowjetbürger, die sich 1991 beim Zerfall der Union in Russland aufhielten, ebenso wie Einwohner der Krim im Jahr 2014. Sie alle erhielten russische Pässe, ohne sie zu beantragen.

Die Novelle besteht nun darin, Ukrainern, die freiwillig eine zweite Staatsbürgerschaft angenommen haben, und Ausländern, die Ukrainer geworden sind, ohne ihre alte abzulegen, den ukrainischen Pass zu entziehen. De jure war eine freiwillig erlangte Doppelstaatsbürgerschaft immer schon verboten, es gab aber weder konkrete Fristen zur verpflichtenden Abgabe des Zweitpasses noch Strafen bei Missachtung des Verbotes. Ein rechtlicher Graubereich, bei dem nun eine klare Grenze gezogen werden soll.

Praktisch schwer durchsetzbar

Die Nachschärfung ziele in erster Linie auf höhere Beamte ab, wie der Vertreter des Präsidenten im Parlament, Artur Gerasimow, unter Anspielung auf den Fall Roman Nasirow erklärte. Durch den gleichzeitigen Besitz mehrerer Pässe sieht Poroschenko die Loyalität von Staatsbediensteten und damit "die nationale Sicherheit" gefährdet. In der Praxis sind aber vor allem Ukrainer mit rumänischer und ungarischer Doppelstaatsbürgerschaft betroffen, von denen es in den Grenzgebieten der Westukraine seit der Einführung eines erleichterten Einbürgerungsprozesses vor sieben Jahren 150.000 bis 200.000 geben soll.

Russisch-ukrainische Doppelstaatsbürger hätten dagegen bei Annahme der Novelle praktisch kaum Konsequenzen zu befürchten, da Russland prinzipiell keine Informationen über Einbürgerungsprozesse preisgibt, wie etwa die Juristin Olga Pojedinok kritisiert. Auch die Vorschläge des Präsidenten, wie ukrainische Behörden ihren Staatsangehörigen den Besitz eines russischen Zweitpasses nachweisen sollen, werden von Rechtsexperten als utopisch bezeichnet.

Der Gesetzesentwurf wurde bereits am Dienstag in ungewöhnlicher Eile auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt, noch bevor er Experten vorgelegt worden war. Im Moment befindet sich die Novelle zur Begutachtung im zehnköpfigen Parlamentskomitee für Menschenrechte, ethnische Minderheiten und interethnische Beziehungen.

Nasirow gegen Kaution frei

Aufgekommen war das Thema mit der Korruptionsaffäre um Roman Nasirow, den am Donnerstag aus der Untersuchungshaft entlassenen Chef der ukrainischen Steuerbehörde. Medienberichten zufolge fanden Ermittler bei einer Hausdurchsuchung neben seinem ukrainischen auch einen britischen und einen ungarischen Pass. Journalisten sagte der 38-Jährige, dem die Veruntreuung von 75 Millionen US-Dollar (knapp 70 Millionen Euro) vorgeworfen wird, er hätte es vorgezogen, seine "Schuld zu beweisen" anstatt Kaution zu bezahlen. Sein Anwalt verbesserte sofort, Nasirow würde selbstredend seine Unschuld beweisen. "Ja, meine Unschuld natürlich, Verzeihung". (Florian Supé, 18.3.2017)