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Wichtiger Literat der Karibik: Derek Walcott.

Foto: APA/EPA/Chico Sanchez

Wien – Die Liebe, die es benötige, eine zerbrochene Vase wieder zusammenzufügen, sei größer als jene, die es zum Betrachten des noch unversehrten Gefäßes brauche, sagte Derek Walcott 1992 in seiner Nobelpreisrede. Das Zusammensetzen von Fragmenten und längst Zerbrochenem durch Sprache war ein Thema, das diesen Dichter, Maler und Dramatiker ein Leben lang beschäftigte.

Derek Walcott im Jahr 2010 über sein Leben und seine Arbeit.
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Am 23. 1. 1930 mit seinem Zwillingsbruder Roderick in Castries auf der Antilleninsel St. Lucia als Sohn eines Verwaltungsbeamten und der Leiterin einer Methodistenschule geboren, wurde Walcott schon früh mit der Kolonialgeschichte seiner von afrikanischen, englischen, französischen, kreolischen und spanischen Elementen geprägten Heimat konfrontiert. "In mir steckt Holländer, Nigger und Engländer – entweder ich bin ein Niemand oder eine Nation", schreibt Walcott in seinem Lyrikband Das Königreich des Sternapfels (1979), in dem er auf die Geschichte der Kolonisierung der Karibik zurückblickt. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er Letztere in der Präsenz der USA in Mittelamerika und in der Einflussnahme der CIA auf lateinamerikanische Staaten fortgesetzt sah.

Seinen ersten Gedichtband 25 Poems publizierte Walcott 1948 im Selbstverlag. Dutzende weitere Gedichtbände sollten folgen, wobei er sich in den 1950er- und 1960er-Jahren stark auch der Dramatik zuwandte, unter anderem in der von ihm gegründeten Theatergruppe Trinidad Theatre Workshop. Gemeinsam sind seinen dramatischen und lyrischen Werken die Themen Herkunft, Identitätssuche und existenzielle Heimatlosigkeit.

Immer wieder zitierte Walcott in seinem Schaffen auch die englische Dichtung, europäische Malerei und antike Mythen herbei. Vereinnahmen ließ er sich von den europäischen Traditionen nicht, vielmehr erbaute er auf den Trümmern dieser kolonialen Verlassenschaften – auch wenn er sich dabei der Sprache des Empire bediente – eine ganz eigene Literatur. Dies auch in seinem wohl bekanntesten Versepos Omeros (Homer), das Themen aus der Ilias, der Odyssee und Dantes Göttlicher Komödie für die Karibik adaptiert.

Zeilen wie Flutwellen

Nach dem Nobelpreis wandte sich Walcott vermehrt der Lehre zu und unterrichtete u. a. in Harvard. Zu einem unschönen Skandal kam es, als er 2009 seine Bewerbung um die renommierte Lyrik-Professur in Oxford nach anonymen Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe zurückzog. Zwar stellte sich heraus, dass diese von einer Mitbewerberin lanciert waren, es wurden aber auch ähnliche Vorwürfe aus den 1980ern wieder laut.

Danach wurde es ruhig um den Dichter, dessen "hartnäckige Zeilen", wie sein Kollege Joseph Brodsky schrieb, wie Flutwellen in die englische Sprache schlugen und dort zu einem unverrückbaren Archipel aus Gedichten gerannen. Derek Walcott verstarb am Freitag in Cap Estate auf St. Lucia. Er wurde 87 Jahre. (Stefan Gmünder, 17.3.2017)