Chuck Berry, Legende.

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Berry im Jahr 2008.

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Berry im Duck-Walk-Modus (1980).

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Musikalische Weggefährten über ihr Vorbild Chuck Berry.

Niels Rozeboom

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Wien – Chuck Berry war der fleischgewordene Rock 'n' Roll. Er kultivierte nicht nur die Musik, destillierte sie aus dem Urschlamm von Blues und Country, er lebte als einer der Ersten jene Attitüde vor, die Rock 'n' Roll als Vehikel rebellischen Aufbegehrens beförderte. Darin nahm er keine Rücksicht auf nichts und niemanden, reizte seine Egozentrik oft bis über die Grenze der Selbstbeschädigung aus. Von John Lennon ist der Satz überliefert: "If you tried to give Rock 'n' Roll another name, you might call it Chuck Berry."

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Seine Songs begleitete ab 1955 eine sich eben erst formierende Jugendkultur als Soundtrack. Sie handelten von schnellen Autos, Teenagern am Rande des Nervenzusammenbruchs – den er zu verantworten pflegte -, wilden Partys und natürlich Girls, Girls, Girls.

Der Sohn einer schwarzen Mittelschichtfamilie wurde am 18. Oktober 1926 in St. Louis im Bundesstaat Missouri geboren. Schon als Schüler machte er musizierend auf sich aufmerksam, ebenso wurde er im Schulalter erstmals verhaftet und wegen bewaffneten Raubs in eine sogenannte Besserungsanstalt gesperrt. Noch öfter sollte der Rock-'n'-Roll-Pionier ins Gefängnis wandern oder Haftstrafen nur knapp entgehen.

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Ein Baby des Blues

In den frühen 1950er-Jahren spielte er in einschlägigen Clubs den Blues, gab dabei aber seiner Neigung für Countrysongs nach, was ihm den Ruf eines Black Hillbillys einbrachte. Auf Ratschlag des Bluesmusikers Muddy Waters wurde Berry 1955 in Chicago bei Leonard Chess vorstellig. Dieser betrieb mit seinem Bruder Phil das Blues-Label Chess Records. Die Chess-Brüder förderten Berrys Vorliebe für Hillbilly-Musik und Blues als möglichen neuen Stil, da sie einen Abwärtstrend bei der Nachfrage für Blues bemerkten. Eine weise Entscheidung.

Berrys Mischung war ein mitreißender Mix, ein Baby des Blues: Rock 'n' Roll. Bereits die erste im Juli 1955 erschienene Single Maybellene wurde ein Millionenseller. Sie machte Berry zu einem der Gründerväter des Fachs, wenngleich die Anerkennung, Rock-'n'-Roll-Stifter zu sein, immer unscharf ausfällt. Viele Köche rührten damals in diesem Topf, doch Berry war einer der Ersten, die den Deckel hochgehen ließen.

Duck Walk

Berry erkannte zudem das Verlangen des Publikums nach Entertainment und bediente es nachhaltig. Seine Egozentrik und sein Hang zur Übertreibung prägten die Attitüde dieses zeitlebens neben der Norm agierenden Musikers. Sein Gitarrenspiel war dabei eher instinktiv genial denn virtuos im Sinne der musikalischen Lehre.

Der von ihm kultivierte Duck Walk, der Entengang, der eine Verlegenheitserfindung wegen eines verdrückten Anzugs war, wurde sein Erkennungsmerkmal, Songs wie Sweet Little Sixteen, Memphis Tennessee, Roll Over Beethoven oder Johnny B. Goode wurden weltberühmt. Johnny B. Goode ist seit 1977 sogar als musikalischer Gruß an Außerirdische mit den Voyager-Sonden im All unterwegs.

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Anfang der 1960er-Jahre bremste ein eineinhalbjähriger Gefängnisaufenthalt seine Karriere, bis Mitte der 1960er veröffentlichte Berry erfolgreiche Singles und fand in England einen treuen Markt. Verlässlichere Geldquellen als seine Plattenverkäufe waren Tourneen. Seine Live-Reputation war damals noch unbekleckert von seinem später zusehends fragwürdiger erscheinenden Arbeitsverständnis.

Schwieriger Charakter

Berry galt, so höflich hat ein Nachruf zu sein, als schwieriger Charakter. Der stolze "Brown Eyed Handsome Man" witterte überall Benachteiligungen, die er meist als rassistisch motiviert einschätzte. Nicht immer zu Unrecht. Daraus leiteten sich Angewohnheiten ab, die im Laufe seiner Karriere immer weniger businesslike wurden; etwa sich seine Auftritte nur in bar bezahlen zu lassen, was ihm in den 1970er-Jahren saftige Steuerschulden und -strafen einbrachte.

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Bekannt war der Kapitänsmützenträger später dafür, ohne feste Band durch die Lande zu touren. Er überließ es den Veranstaltern, ihm Begleitmusiker an die Seite zu stellen, die seine Songs spielen können mussten. Das bedingte eine Unprofessionalität, die, gepaart mit den Launen des Meisters, dem Publikum erratische Auftritte bescherten, bei denen Berry ohne Rücksicht auf die Band Tonleitern und Songs wechselte.

Immenser Einfluss

Sein letztes Studioalbum veröffentlichte er 1979, im selben Jahr spielte er auf Einladung Jimmy Carters im Weißen Haus, drei Tage später ging er in den Knast: Steuerhinterziehung. Den Rest seiner Karriere verbrachte er in den Oldie-Zirkeln. Sein Erbe war da längst Legende. Es beeinflusste die Beatles, die Rolling Stones, die Beach Boys (die er wegen Surfin' U.S.A. erfolgreich verklagte) und Hunderte andere Bands und Musiker.

Zu seinem 60. Geburtstag organisierte Keith Richards ein Geburtstagskonzert für den von ihm so verehrten Berry. Regisseur Taylor Hackford hielt es in der Dokumentation Hail! Hail! Rock 'n' Roll fest – und damit ein Stück Undankbarkeit. Denn darin beschwert sich Berry lauthals über Richards und den Erfolg der Rolling Stones, den sie ihm zu verdanken hätten. In derselben Doku bezeichnet Richards den Song Johnny B. Goode als sein Erweckungsmoment, ohne das er wohl Buchhalter geworden wäre.

Pulp-Fiction-Twist

In den 1990ern ließ Regisseur Quentin Tarantino in seinem Film Pulp Fiction Uma Thurman und John Travolta zu You Never Can Tell twisten und verneigte sich damit vor dem Rock' n' Roller Berry (und dem Tänzer Travolta).

Zu seinem 70. Geburtstag erreichte den Vater von vier Kindern eine Klage seines langjährigen Wegbegleiters Johnnie Johnson. Dieser behauptete, er hätte über 50 von Berrys bekanntesten Songs mitverfasst. Johnsons Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, es lasse sich nicht mehr sicher eruieren, wer was geschrieben hätte, dazu sei zu viel Zeit vergangen.

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2014 erhielt Berry den Polar Music Prize für das Verdienst, die E-Gitarre zum bestimmenden Instrument der Rockmusik gemacht zu haben. Bis zuletzt stand der laut dem US-Kritiker Robert Christgau größte Rock 'n' Roller auf der Bühne.

An seinem 90. Geburtstag vergangenen Oktober kündigte er sein erstes neues Studioalbum seit fast 40 Jahren an: Chuck soll es heißen und im Juni erscheinen. Es ist seiner Frau Themetta Berry gewidmet, mit der er 68 Jahre lang verheiratet war. Auf seiner Homepage schrieb er: "My darlin' I'm growing old! I've worked on this record for a long time. Now I can hang up my shoes!" So ist es nun gekommen.

Charles Edward Anderson Berry ist am Samstag zu Hause im Alter von 90 Jahren gestorben. (Karl Fluch, 19.3.2017)