Alexandra Deshorties als Elisabetta.


Foto: Herwig Prammer

Wien – Zwei Monate Zeit hatte Gioachino Rossini für die Komposition seiner Oper Elisabetta, regina d'Inghilterra – für ihn, so erläutert das Programmheft, "ein relativ langer Zeitraum". Dabei stimmt die Ouvertüre mit der von Il barbiere di Siviglia überein, was doch angesichts der Unterschiedlichkeit der Werke, Komödie und Tragödie, verwundern muss.

Dass das für Rossini eine durchaus übliche Vorgehensweise war, er selbst diese Ouvertüre bereits weitere Male verwendet hatte und auch bei Arien routiniertes Recycling betrieb, führt zum Kern seiner Ästhetik, die sich kaum von jener eines Barockkomponisten unterscheidet: Seine Musik fungiert wie ein Gefäß für Emotionen, das sich durch die Interpreten und die Zuhörer mit Gehalt und Bedeutung füllen lässt – zwar sehr verschieden, doch nicht beliebig.

Dirigent Jean-Christophe Spinosi führte das von Anfang an vor: Nicht nur wegen der Originalklang-Prägung war das Ensemble Matheus meilenweit vom üblichen effektsicheren, virtuosen Abschnurren entfernt, sondern auch wegen einer ungewohnten Dramatik durch starke Tempomodifikationen und reiche Differenzierung. Eine Lesart, die Rossini gerade in ihrer Mehrdeutigkeit ernst nahm und den interpretatorischen Spielraum in der Gestaltung auch weiter ausnützte.

Aufwühlende Seufzer

Die Geschichte rund um böse Intrigen, Liebesgewirr und Rachegelüste könnte leicht zum platten Plot werden, doch Regisseurin Amélie Niermeyer umschiffte diese Gefahr dadurch, dass sie für das Reich der Königin eine vielschichtige Chiffre fand: Denn Elisabetta ist zwar Mensch durch und durch, schlüpft jedoch als Herrscherin nicht nur in ihre Rolle, sondern auch in überdimensionale, majestätisch-statisch über die Bühne gleitende Gewänder (Kostüme: Kirsten Dephoff). Alexandra Deshorties verkörpert diese Janusköpfigkeit auch stimmlich souverän, verbindet geschliffene Koloraturen mit aufwühlenden Seufzern der Seelenpein.

Das übrige Ensemble fügt sich nahtlos in die Beziehungsaufstellung ein: Das vom Tod bedrohte Liebespaar Leicester (Norman Reinhardt) und Matilde (Ilse Eerens) ebenso wie der Intrigant vom Dienst Norfolc (Barry Banks) überbrücken auch die durchaus vorhandenen allzu routiniert komponierten Passagen durch packende Präsenz. Niermeyers Inszenierung verbindet schlüssige Personenführung und Reduktion mit drastischer Zuspitzung und punktueller Konterkarierung des Textes: Wenn die Menschen etwa nicht ehrlich miteinander umgehen, sieht man ihnen das auch daran an, dass sie das Gegenteil von dem tun, was sie sagen.

Auf der sich beständig als Spiegel der Emotionen räumlich verändernden Bühne von Alexander Müller-Elmau ist auch der wie immer erwähnenswert organische Arnold Schoenberg Chor szenisch sehr gefordert – nicht erst, als mit den Kleidern der Königin Schlitten gefahren wird: eines der eindrücklichen Bilder dieser Produktion, die bei der Premiere ein Buh und viel Jubel erntete. (Daniel Ender, 19.3.2017)