Sich zu einem sozialeren Europa zu bekennen entspricht dem in Österreich weitverbreiteten Wunsch, wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Sicherheit zu verbinden. Dieser Wunsch wurde in Umfragen schon vor einem Vierteljahrhundert deutlich. Meinungsforscher analysierten damals, dass die Österreicher sehr wohl in die EU wollten, aber eben in eine andere Union als die, die es eben gegeben hat. Es waren dann auch immer wieder österreichische Politiker und Gewerkschafter, die sich für eine soziale Dimension der Union starkgemacht haben.

Tatsächlich ist die EU in den vergangenen Jahren sozialer geworden, auch wenn etwa die Bemühungen um Arbeitnehmerschutz regelmäßig lächerlich gemacht wurden – die Schlagzeilen um ein angebliches Dirndl-Verbot für Kellnerinnen und eine Gehörschutzpflicht für Orchestermusiker sind noch in unguter Erinnerung.

Aber die sozialen Aspekte haben ihre Grenzen – und diese decken sich weitgehend mit den bis auf weiteres bestehenden nationalen Grenzen. Wenn Außenminister Sebastian Kurz eine Beschränkung von sozialen Leistungen für EU-Bürger, die noch nicht so lange auf dem heimischen Arbeitsmarkt tätig sind, fordert oder wenn es um die Bemessung der Kinderbeihilfe an den Standards des Landes, in dem das Kind lebt, geht, werden wir an dieses Prinzip erinnert. Und im Übrigen daran, dass wir Österreicher ein sehr gut ausgebautes Sozialsystem sowie ein relativ hohes Lohnniveau haben.

Die recht guten Verdienstmöglichkeiten machen unser Land für Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten attraktiv – und das soll im Sinn der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch so bleiben.

Sozialleistungen aber haben den Zweck, einen objektiven Bedarf abzudecken – also soziale Nachteile auszugleichen, die etwa durch Krankheit oder Elternschaft entstehen können. Wobei gerechterweise wiederum zwischen beitragsorientierten Versicherungsleistungen (Ansprüchen, die aus der Kranken- oder Pensionsversicherung entstehen) und reinen Sozialtransfers unterschieden werden muss.

In einer vollständig ausgebauten Sozialunion würden alle derartigen Unterschiede verschwinden – ob jemand in Estland oder Portugal Kinder großzieht, ob jemand in Irland oder Italien krank wird, ob jemand in Griechenland oder Österreich eine Pension bekäme, das würde keinen Unterschied machen. Da wäre kein Spielraum mehr für nationale Sozialpolitik: Es gäbe einheitliche Leistungen.

Kurz hat in der ORF-Pressestunde darauf verwiesen, dass dieses Idealbild dann eben nicht an nationale Grenzen, sondern an Grenzen der Finanzierbarkeit stoßen würde: Es gäbe dann eine europaweite Volkspension, die würde sich aber auf einem wesentlich niedrigeren Niveau einpendeln, als wir das derzeit von unseren ASVG-Pensionen kennen. Diese Volkspension würde vielen Menschen in schlechter entwickelten Volkswirtschaften vielleicht mehr bringen als das durchschnittliche Arbeitseinkommen auf den dortigen Märkten; aber sie würde doch von den Nettozahlern in den wirtschaftlich erfolgreicheren Ländern finanziert werden müssen.

Mehr zahlen und weniger bekommen – das ist ein Modell, das auch dem europafreundlichsten Österreicher kaum schmecken dürfte. Es würde den EU-Gegnern massiv nützen. Als EU-Freund muss man daher die Sozialromantiker rechtzeitig bremsen. (Conrad Seidl, 19.3.2017)