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Ein Unternehmen mag alle religiösen und weltanschaulichen Zeichen am Arbeitsplatz untersagen, aber betroffen sind davon fast nur Frauen muslimischen Glaubens, die ein Kopftuch tragen wollen.

Foto: Reuters / Stefan Wermuth

Wien – Die beiden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs bezüglich des Tragens von religiösen Kleidungsstücken am Arbeitsplatz (Rs Bougnaoui C-188/15 und Rs Achbita C-157/15) haben vergangene Woche erwartungsgemäß große mediale Resonanz gefunden. In beiden Fällen übten Arbeitnehmerinnen eine Tätigkeit mit Kundenkontakt aus, beiden untersagte der Arbeitgeber, ein islamisches Kopftuch zu tragen. Ihre Weigerung, das Kopftuch abzulegen, führte zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die in den Medien transportierte Botschaft war, dass ein Arbeitgeber das Kopftuch verbieten kann, sofern eine generelle Regelung im Unternehmen das "sichtbare Tragen von politischen, philosophischen, religiösen oder weltanschaulichen Zeichen" im Kundenkontakt untersagt. Doch so eindeutig sind die Entscheidungen nicht. Das liegt auch daran, dass sie sowohl zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH als auch zueinander in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen.

Im Verfahren Rs Achbita bestand im Unternehmen bereits ein entsprechendes allgemeines Verbot. Der EuGH sieht in einer derart generellen Unternehmenspolitik der "Neutralität" im Auftritt gegenüber Kunden ein potenziell legitimes Ziel, das eine Benachteiligung aufgrund der Religion bzw. Weltanschauung rechtfertigen könnte. Damit schlägt der Gerichtshof neue Töne an, die geeignet sind, den Schutzmechanismus der mittelbaren Diskriminierung auszuhebeln.

Unternehmerische Freiheit

Bei mittelbarer Diskriminierung reicht die bloße Eignung einer Maßnahme, eine Gruppe, die ein Diskriminierungsmerkmal aufweist, zu benachteiligen – unabhängig vom Motiv. Dieser Schutz wird durch die Möglichkeit eine Maßnahme zu rechtfertigen wieder eingeschränkt. Bisher stand der EuGH rein wirtschaftlichen Interessen als Rechtfertigungsgrund für mittelbare Diskriminierungen kritisch gegenüber.

Diese strikte Haltung scheint er nun aufzuweichen. Er betont in der Causa Achbita die – grundrechtlich abgesicherte – unternehmerische Freiheit und stellt diese bis zu einem gewissen Grad vor die – ebenfalls grundrechtlich abgesicherte – Freiheit der Religionsausübung. Die endgültige Entscheidung, ob die Beendigung der Arbeitsverhältnisse zulässig war, ist allerdings von den zuständigen nationalen Gerichten zu treffen.

Doch der Spielraum für Unternehmen, über eine Neutralitätspolitik das Tragen eines Kopftuches zu untersagen, ist eingeschränkt. Denn eine solche Politik ist sowohl am Antidiskriminierungsrecht als auch an den Grundrechten zu messen. Unternehmerische Freiheit kann nicht als pauschale Legitimationsbasis für ein generelles Verbot dienen, wenn sie mit der Religionsausübungsfreiheit der Arbeitnehmer und -innen kollidiert.

Darüber hinaus mag ein Neutralitätsgebot zwar allgemein formuliert sein, doch in der Praxis trifft es vor allem Frauen muslimischen Glaubens, da diese weitaus am häufigsten ein sichtbares religiöses Kleidungsstück tragen. Das stellt eine klassische Diskriminierung – wegen der Religion und des Geschlechts – dar, die einer Rechtfertigung bedarf.

Die wahrscheinlichste Rechtfertigung aus Unternehmenssicht ist der Wunsch von Kunden, nicht mit Kopftuchträgerinnen konfrontiert zu werden. Doch genau dem schiebt der EuGH in der Rechtssache Bougnaoui einen Riegel vor: Diskriminierende Kundenwünsche sind kein zulässiges Argument für eine diskriminierende Unternehmenspolitik. Die Sorge vor Kundenrückgängen beim Einsatz von Kopftuchträgerinnen ist daher wohl auch kein legitimer Grund für ein Kopftuchverbot.

Verbot für alle – oder nicht?

Doch hier enden noch nicht die Probleme, die sich aus der EuGH-Judikatur ergeben. Selbst wenn ein legitimes Interesse an der Unternehmensneutralität im Kundenkontakt vorliegt, muss das Verbot einschlägiger Zeichen in Hinblick auf dieses Ziel angemessen und erforderlich sein.

Die Erforderlichkeit ist nach Ansicht des EuGH dann gegeben, wenn sich das Verbot auf Personen mit Kundenkontakt beschränkt. Daraus wäre der Schluss zu ziehen, dass bei Personen ohne Kundenkontakt ein Verbot unzulässig ist. Doch das Kriterium der Angemessenheit fordert eine kohärente und systematische Umsetzung einer Neutralitätspolitik im Unternehmen. Wenn manche Mitarbeiterinnen Kopftuch tragen dürfen und andere nicht, ist diese kaum gegeben.

Letztlich hat der EuGH in dieser brisanten Frage wenig geklärt. Unternehmen sind gut beraten, hier vorsichtig heranzugehen. Die Entscheidung, ob auf Basis eines generellen Neutralitätsgebots ein Kopftuchverbot zulässig ist oder nicht, wird vom Einzelfall abhängen.(Andrea Potz, 20.3.2017)