Markanter Teil der Ausstellung: Mari Katayama inszeniert sich als Krake mit surrealen Gliedmaßen auf einem Strand.

Foto: Katayama

Wien – Die österreichische Künstlerin Renate Bertlmann verfügt über den guten schwarzen Humor. Ihr Entwurf für eine "Messerschnullermaske" gehört zum ersten Teil der Doppelausstellung Pro(s)thesis und Posthuman Complicities, die in den Xhibit-Räumen der Akademie der bildenden Künste zu sehen ist. Bereits im Titel Pro(s)thesis lagert ein dunkler Witz. Darin steckt die Prothese als Ersatz von Körperteilen und die Prothesis, der altgriechische Begriff für die Aufbahrung einer Leiche, in ihrer wörtlichen Bedeutung: Aus- oder Zuschaustellung.

Zu sehen sind kritische Reaktionen auf die allgegenwärtige Propaganda gegen den als unzureichend – zu dick, zu alt, zu unfit, zu sterblich – gebrandmarkten Körper. Schon sein "Normal"-Zustand gilt dem neoliberalen Optimierungswahn als behindert.

Diesen Irrwitz ironisiert etwa Mari Katayama, die sich als bildschöner Krake mit surrealen Gliedmaßen auf einem Strand inszeniert. In die gleiche Kerbe schlägt Tänzerin Lisa Bufano, der mit 21 Jahren Beine und Hände amputiert werden mussten. Die Videos der Amerikanerin zeigen, wie sie ihr Stigma zu überwinden suchte: durch den künstlerischen Einsatz von Prothesen in Form von Flossen oder Tischbeinen. Bertlmanns Maske von 1983 ist kein Körperteilersatz, sondern eine Körpererweiterung, die dem Körper ein Werkzeug in Form einer stichhaltigen Botschaft hinzufügt und verwandt mit Rebecca Horns Pencil Mask-Performance von 1972: Horn hatte Bleistifte vor ihr Gesicht montiert, mit denen sie wie ein stacheliger "Pen-Head" auf ein vor ihren Kopf montiertes Blatt Papier zeichnete.

Tisch mit Buch

Heavy Writing heißt Anna Vasofs Installation – ein Tisch mit Buch und Stift. Mit Recht, denn der Kuli hängt an einer Hantel, die das Schreiben behindert. Vasov verdeutlicht das in einem Video. Mit den Worten "This is the story about a woman who" spielt sie auf den berühmten feministischen "Film About a Woman Who ..." an, den die Choreografin Yvonne Rainer 1974 gedreht hat.

Den Bezug zwischen Prothese und fordistischer Industrie stellt Angela Su in ihrem Diashow-Video The Assembly Line her. Versehrte aus dem Ersten Weltkrieg werden mit Spezialprothesen bei der Fließbandarbeit eingesetzt. Hier zeigt sich eine Umkehr der Körpererweiterung – wenn der Mensch zum Werkzeug von Maschinen wird.

Als zusätzliche Reibungsfläche stellen in Pro(s)thesis die Kuratorinnen Berenice Pahl und Felicitas Thun-Hohenstein Verknüpfungen zu Genderdiskursen her. Zudem lassen sie ihre Ausstellung in die Gemäldegalerie der Akademie überfließen – so konfrontieren sie alte Körperbilder mit Prothesenmetaphern von heute.

Das Motiv der Körpererweiterung greift auch auf die zweite Ausstellung über, Posthuman Complicities, kuratiert von Andrea Popelka und Lisa Stuckey. Hier zeigt beispielsweise Joey Holder in ihrer Videoinstallation Proteus, wie Wissenschafter mit Tauchrobotern "fremde" Lebensformen an Unterseevulkanen untersuchen, was sich perfekt mit dem dystopischen Video Hydra Decapita der Otolith Group verbindet, einer hypnotisierenden Techno-Natur-Tracking-Bilderpoesie.

Diese klug konzipierte Doppelausstellung erweist sich als echter "Hammer". Denn sie zielt auf die Zehen einer ideologischen Ökonomie, die menschliche Körper oft als überflüssig verachtet. (Helmut Ploebst, 20.3.2017)