Die Spannung steigt in Frankreichs turbulentem Wahlkampf. Angesichts der zahlreichen Wirren und Wenden erstaunt es nicht, dass laut Umfragen 40 Prozent der Wähler noch nicht wissen, wem sie ihre Stimme geben wollen. Umso höher war die Erwartung – und die Einschaltquote – beim TV-Streitgespräch auf dem größten privaten Sender TF1 am Montagabend.
Das Hauptinteresse galt dem Jüngsten der fünfköpfigen Runde, dem Shootingstar Emmanuel Macron, der in den Meinungsumfragen mit 26 Prozent gleichauf mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen führt und in der Stichwahl klar gewinnen würde. Der 39-jährige Eliteschulabsolvent, der seinen ersten Wahlkampf überhaupt führt, versuchte seine Unerfahrenheit in einen Vorteil zu verwandeln, indem er sich ausdrücklich als "neues Gesicht" präsentierte, während seine Gegenspieler "seit Jahrzehnten" im Politgeschäft seien. Gegen die Egos seiner Widersacher hatte er aber rhetorisch einen schweren Stand.
Debatte um Burkini
Le Pen gab sich entgegen ihrem Naturell betont gemäßigt, um über den Front National hinaus Wähler anzuziehen. Diese Pose hielt allerdings nicht lange, behauptete sie doch wenig diplomatisch, sie würde als Präsidentin Frankreichs nicht die unterwürfige "Vizekanzlerin" der Deutschen Angela Merkel spielen.
Beim Thema Islam und Laizismus gerieten die beiden Favoriten hart aneinander. Le Pen warf Macron vor, er sei naiverweise gegen ein Verbot des islamischen Badekleids Burkini. Der Angesprochene konterte vehement, man dürfe nicht wegen eines minimalen Problems eine ganze Bevölkerungsgruppe – die Muslime – stigmatisieren.
Auch wenn Le Pens Versuch, sich staatstragend und republikanisch zu geben, reichlich gekünstelt wirkte, erreichte sie ihr Ziel auf unausgesprochene Weise: Allein schon das Setting der Sendung erlaubte ihr nämlich, sich als sozusagen "normale" Kandidatin zu präsentieren. Ungewollt vollführte die TV-Debatte damit Le Pens Integration ins französische Politsystem.
Das Duell Macron–Le Pen zeigte auch auf, wie sehr sich die Vorzeichen in diesem Wahlkampf, ja, in Frankreich geändert haben: Die Vertreter der klassischen Linken und Rechten, die das Rennen seit Beginn der Fünften Republik im Jahre 1958 unter sich ausgemacht hatten, gehören erstmals zu den Außenseitern. Der Konservative François Fillon, der in den Umfragen wegen seiner Affären nur noch auf 17 Prozent kommt, erreichte sein Hauptziel: Er konnte über politische Inhalte sprechen und damit von seiner Scheinbeschäftigungsaffäre – dem "Penelope-Gate" – ablenken. Bewusst attackierte er Macron, der vor wenigen Tagen in Berlin Merkels Flüchtlingspolitik gelobt hatte: Bei dieser Million Zugeströmter handle es sich mehrheitlich um Migranten, nicht um Flüchtlinge, erklärte Fillon.
Widerlich- und Ehrlichkeit
Sehr politisch gab sich Benoît Hamon, der offizielle Kandidat der Sozialistischen Partei, der bei 13 Prozent stagniert. Er kritisierte Le Pens "widerliche" Vorschläge und bezeichnete sich als "ehrlich", was mehr als eine Spitze gegen Fillon enthielt.
Jean-Luc Mélenchon, von der Linken und den Kommunisten unterstützt und auf gleich viele Sympathiepunkte wie Hamon kommend, erwies sich einmal mehr als linker Volkstribun. Neben Hamon und Fillon gehörte er zu den wortstärksten Rednern. Das Außenseitertrio bot den Favoriten Le Pen und Macron damit nicht nur Paroli, sondern stellte sie zeitweise fast in den Schatten.
Der Verfassungsgerichtshof in Paris hatte erst am Samstag die elfköpfige Kandidatenliste veröffentlicht. Neben den fünf Schwergewichten treten sechs weitere Kandidatinnen und Kandidaten an, die mehrheitlich zur politischen Folklore Frankreichs zählen: die Trotzkisten Nathalie Arthaud und Philippe Poutou, die EU-Gegner Nicolas Dupont-Aignan und François Asselineau, dazu der ewige Kandidat Jacques Cheminade, der den Mars besiedeln will, und ein Hirtensohn aus den Pyrenäen, Jean Lassalle. (Stefan Brändle aus Paris, 21.3.2017)